Im Schatten der Ukraine. Der dritte Teil des Weltklimaberichts

Am 4. April hat das IPCC (das Intergovernmental Panel on Climate Change, bei uns als „Weltklimarat“ bezeichnet) den dritten Teil des aktuellen Weltklimaberichts vorgestellt. Während die beiden vorher fertiggestellten Teile die wissenschaftlichen Grundlagen und die Auswirkungen des Klimawandels behandeln, geht es in diesem dritten Teil um die Maßnahmen zur Eindämmung der Klimaveränderungen. Noch einmal besonderes Gewicht erhält der Bericht durch die aktuellen Meldungen, dass der durchschnittliche Temperaturanstieg auf der Erde dieses Jahr erstmals die 1,5 °C erreichen könnte.

An dem rund 3000 Seiten starken Bericht haben etwa 600 Autoren aus 65 Ländern mitgewirkt. Es ist damit die wohl seriöseste Zusammenfassung der Situation, wenn auch durch die Erscheinungstermine der ausgewerteten 18.000 Veröffentlichungen und die Dauer der Arbeit – inklusive Schlussabstimmung – zumindest aus meiner Sicht nicht superaktuell.

Außer dem „Full Report“ gibt es mehrere Auszüge, unter anderem eine Zusammenfassung für Politiker. Hauptsächlich auf diese bezieht sich der folgende Beitrag – und dieses Dokument zeigt auch das Dilemma: Die Kurzaussagen für Politiker sind relativ unspezifisch.

Zum Abschluss des Berichts gab es eine Pressekonferenz. Die Charts dazu starten mit einer eindeutigen, harten Aussage: „We are not on track to limit warming to 1.5 °C.“ Getrieben wird der Temperaturanstieg durch CO2 aus fossilen Energiequellen und Industrie (Anteil 2019 an den gesamten „CO2-Äquivalenten“: 64%), Kohlendioxid (CO2) durch Landnutzung, Änderungen von Landnutzung und Wald (11%), Methan (CH4) (18%), Stickoxid N2O (4%) und Fluorverbindungen (2%).

Weitere Aussagen zur Pressekonferenz lauten: „Some countries have achieved a steady decrease in emissions consistent with limiting warming to 2 °C.“ Und: „Zero emissions targets have been adopted by at least 826 cities and 103 regions.“ Das heißt im Prinzip: Ein kleiner Teil der Akteure auf der Welt ist derzeit auf dem Pfad in Richtung 2 °C. Die Masse aber hinkt weit hinterher. Dazu reicht nur ein kleiner Blick auf Erlangen, eine der aktiveren Städte in Deutschland, wo man sich selbst mit kleinen Maßnahmen unendlich schwertut. Oder auf Bubenreuth, wo die Mehrheit im Gemeinderat zwei Parkplätze je mittelgroßer Wohnung für zukunftsweisend hält.

Das IPCC weist in seinem Bericht darauf hin, dass verstärktes Klimahandeln deutliche Auswirkungen auf die verschiedenen Sektoren nachhaltiger Entwicklung hat. Und so gleicht das IPCC alle Maßnahmenpakete zum Erreichen von Klimazielen mit den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung ab, welche die UN in der AGENDA 2030 definiert hat. Das ist wichtig, um Bereitschaft für Veränderung zu schaffen.

Wenn wir auf der Erde bis etwa 2050 eine Nettonullemission von CO2-Äquivalenten erreichen würden, könnten wir gemäß den wahrscheinlichen IPCC-Szenarien die Erderwärmung auf etwa 1,5 °C beschränken; schaffen wir es bis 2070, werden es 2,0 °C. Dieser Zeitplan ist für uns in Mitteleuropa einfacher umzusetzen als für andere Länder, wir müssen also deutlich schneller sein, um die Langsamkeit anderer Länder auszugleichen. Aber egal welcher dieser Pfade beschritten wird. Beide bedingen sofort einsetzende, schnell wirkende, tiefgreifende Reduktion von Treibhausgasen in fast allen Sektoren. Es ist sicher, dass die weltweiten Kosten für eine Begrenzung des Temperaturanstiegs niedriger sind als die Kosten für die Bewältigung höherer Temperaturen. Handeln wir nicht so schnell, ist für 2100 ein globaler Temperaturanstieg von 3,2 °C zu erwarten.

Für den Bereich Industrie heißt der Weg zu Nettonullemission zum Beispiel ab sofort: koordiniertes Handeln entlang der gesamten Wertschöpfungsketten, um alle Optionen zur Eindämmung von Folgen aus Emissionen wahrzunehmen. Dazu gehören die Einflussnahme auf die Nachfrage nach Produkten, effiziente Nutzung von Energie und Rohstoffen, Kreislaufwirtschaft, Einsatz emissionsmindernder Technologien und grundlegende Transformation von Produktionsprozessen zu Niedrig- und Nullemissionstechnologien für Strom und Brennstoffe, begleitet von aktivem Management der CO2-Emissionen.

Städtische Regionen müssen ambitioniert daran arbeiten, ihre Infrastrukturen und die Anlage der Städte systemisch auf die Nettonullemission auszurichten. Das bedeutet unter anderem, den Energie- und Materialverbrauch zu reduzieren, zu elektrifizieren und CO2 zu binden und in den Städten zu speichern. Auch die Versorgung der Städte („Supply Chains“) muss innerhalb und außerhalb der Städte auf Nullemission ausgelegt sein. (Für Bubenreuth heißt das: Die Kommune ist erst klimaneutral, wenn alle Versorgungsketten klimaneutral sind.)

Für bestehende, nachzurüstende und neue Gebäude heißt das: Die Politik muss Maßnahmen vorgeben, die ausreichend sind, effizient und sich auf erneuerbare Energien konzentrieren. Barrieren zur CO2-Reduktion (z.B. im Baurecht) müssen beseitigt werden. Zu wenig ambitionierte Maßnahmen erhöhen das Risiko dauerhafter Emissionen, während gut geplante und umgesetzte Maßnahmen hohes Einsparpotential bedeuten.

In den entwickelten Ländern müssen die Emissionen des Transportsektors schnell reduziert werden. In den weniger entwickelten Staaten geht es erst einmal darum, das Wachstum der Emissionen zu begrenzen. Das größte Potential bieten dazu Elektrofahrzeuge, auf kurze Sicht auch mit dem Einsatz von nachhaltig erzeugten Biokraftstoffen. Solche Kraftstoffe helfen auch, die Emissionen durch Schiffs-, Luft- und Schwerverkehr an Land zu drosseln. Wirksame Strategien im Transportsektor bedeuten automatisch weitere Verbesserungen – etwa bezüglich Luftqualität, Gesundheit, gerechtem Zugang zu Transportmitteln, Staus und reduziertem Materialaufwand.

AFOLU (Agriculture, Forestry and Other Land Use) ist ein weiterer wesentlicher Sektor. Er umfasst auch nachhaltig produzierte land- und forstwirtschaftliche Produkte. Dabei könnten auch Widerstände aufgrund der Folgen des Klimawandels entstehen, konkurrierende Möglichkeiten zur Landnutzung, Konflikte wegen der Sicherheit von Nahrungsmittelversorgung und Lebensunterhalt, der Komplexität von Besitzverhältnissen und Bodenbewirtschaftung sowie kulturellen Aspekten. Je nach Staat und Region ergeben sich hier auch besondere Chancen, zum Beispiel zum Erhalt der Biodiversität oder der Anpassung an den Klimawandel. Aber natürlich spielen dabei Infrastrukturen eine Rolle und es braucht vielerorts einen Wandel, soziokulturell und im persönlichen Verhalten.

Wichtig ist auch die Speicherung von CO2 bzw. der Entzug von CO2 aus der Atmosphäre (CDR, Carbon Dioxide Removal) – zum Beispiel durch Humusaufbau, Wiedervernässen von Mooren, (Wieder)Aufforstung usw.

Ein kritischer Faktor zum Erreichen ehrgeiziger Klimaziele ist die internationale Zusammenarbeit. Dazu gehören Partnerschaften, Abkommen, Institutionen und Initiativen auf subglobalen und sektoralen Ebenen mit vielen Beteiligten. (Das entspricht genau der im Grünen Bundestagswahlprogramm 2021 definierten Außenpolitik.) Hier spielt auch der Finanzsektor eine wesentliche Rolle.

Nachhaltige Entwicklung, Anfälligkeit für Schäden und Klimarisiken sind eng verknüpft. Begrenzte ökonomische soziale und organisatorische Ressourcen führen oft zu einer hohen Anfälligkeit und zu einer geringen Fähigkeit zur Anpassung, insbesondere in weniger entwickelten Ländern, wo weniger CO2 pro Kopf emittiert wird. Verstärkte Aktivitäten zur Abschwächung von Risiken und zu mehr Nachhaltigkeit wirken sich innerhalb der jeweiligen Länder und zwischen den Ländern aus. Fairness und konstruktive Beteiligung aller wichtigen Gruppen bei Entscheidungen auf allen Ebenen schaffen gegenseitiges Vertrauen und verbreitern die Unterstützung für transformative Änderungen.

Wichtig ist klimaorientiertes Regierungshandeln, durch Gesetze, Strategien und Institutionen, das nationale Gegebenheiten berücksichtigt. Es ist dann am wirksamsten, wenn es möglichst viele Politikfelder einbezieht, Synergien schafft und Zielkonflikte minimiert und nationale und regionale Politikfelder integriert (also nicht nach dem CSU-Motto „Der Bund ist zuständig“). Effektive und faire Klimapolitik baut auf das gemeinsame Engagement von Personen aus der Gesellschaft, Politikern, Unternehmen, Jugend, Gewerkschaft, Medien, indigenen Gruppen und lokalen Gemeinschaften (was sich für uns vielleicht merkwürdig anhört, aber der IPCC-Bericht wendet sich an die gesamte Welt).

Ein weiterer wesentlicher Punkt im IPCC-Bericht sind die internationalen Finanzflüsse. Es fließt zu wenig Geld in die kritischen Regionen. Auch hier müssen die nationalen Regierungen und die internationale Gemeinschaft schnell handeln. Internationale Kooperation im Finanzbereich ist ein kritischer Faktor zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen und hin zu fairen Handels- und Lebensbedingungen. (Anmerkung: „Kritischer Faktor“ bedeutet, dass die Umsetzung eine eindeutige Bedingung ist.) Diese Kooperation muss sich dem Ungleichgewicht in Bezug auf den Zugang zu Finanzmitteln gegenüber den Kosten und der Verwundbarkeit durch die Folgen des Klimawandels widmen.

Was aus meiner Sicht mit der Kurzfassung des IPCC-Berichts für Entscheider wieder einmal deutlich wird: Wir haben ein Problem zwischen Sendern der Botschaft und Empfängern, zwischen Wissenschaft und Politik. Die gesendete Botschaft heißt „Wir müssen sofort auf allen Ebenen handeln.“ Diese Botschaft reicht nicht aus, um genügend Entscheidungen anzustoßen, denn erstens enthält sie keine konkreten, subglobalen oder regionalen Handlungsvorschriften und zweitens formuliert sie nicht, dass die Politiker – auch persönlich – Verantwortung tragen für die Klimakrise. Wenn das nämlich klar wäre, wären eindeutig klimaschädliche Entscheidungen oder Nicht-Entscheidungen, auch wenn sie global nur geringe Effekte hätten, nur schwieriger möglich. Beispiele dafür sind 10H in Bayern (wo die jetzige „Aufweichung“ in Bayern Windräder von Kritikern fernhält und stattdessen hohe Schäden in wichtigen Ökosystemen anrichten kann), Tempo 130, die Zahl der Kfz-Stellplätze je Wohnung, zu niedrige Parkgebühren in Innenstädten, anhaltende Bodenversiegelung, 9-Euro-Ticket statt Investition in den ÖPNV, usw.

Direkt, und auch zwischen den Zeilen, taucht im Bericht immer wieder das Thema der Gerechtigkeit auf, im regionalen, nationalen und globalen Maßstab. Hier sind wir als reiche „Verursacher“ von Ungerechtigkeit und Umweltschäden besonders gefordert. Ein Thema, das wir Grünen auch global schon länger auf der Agenda haben. Da könnten SPD (die sich als Partei sozialer Gerechtigkeit empfindet), FDP (die eigentlich allen Menschen gleiche Rechte zugesteht) noch etwas nachlegen. Für die Unionsparteien wäre der Schritt deutlich größer – zumindest der Einstieg in deren letztes Bundestagswahlprogramm ist geprägt von nationalem und Eurozentrismus, Klima fällt mehr oder weniger unter den Tisch. Aber letztendlich brauchen wir alle Gruppen, die irgendwo Entscheidungen treffen.

Und dabei geht es auch international um Geld, um ganz andere Summen als bei Corona und im Ukrainekrieg. Das ist ein langer Schatten, über den die reichen Länder springen müssen, wenn sie nicht selbst durch Klimaignoranz ihre Lebensgrundlagen zerstören wollen.

Gerhard Seitfudem