Im Januar-Newsletter haben wir die von Robert Habecks Ministerium geplanten Sofortmaßnahmen vorgestellt. Die Klima-Pläne für die aktuelle Legislaturperiode gehen aber viel weiter, es ist – auch wenn die Vorhaben von vielen als nicht weitgehend genug kritisiert werden – ein gigantischer Kraftakt, den sich die Regierung vornimmt. Schwach ist aus meiner Sicht aber der Sektor Verkehr, wie es sich mit dem Koalitionsvertrag bereits angekündigt hatte; die Gründe dafür sind extrem vielschichtig.
Nun zu den weiteren Maßnahmen. Ganz wichtig dabei ist das bereits im Januar-Newsletter zitierte Ziel: Es soll gesetzlich klargestellt werden, dass die Erneuerbaren Energien im überragenden öffentlichen Interesse sind und der öffentlichen Sicherheit dienen.
- Strommarktdesign
Noch dieses Jahr soll es eine Plattform „Klimaneutrales Stromsystem“ geben, die konkrete Vorschläge für ein neues Strommarktdesign erarbeiten soll. Themen sind zum Beispiel, wie der Umstieg auf Wasserstoffkraftwerke organisiert werden kann, welche Reformschritte bei Abgaben, Umlagen, Steuern und Entgelten im Energiebereich nötig sind, wie dezentral erzeugter Ökostrom stärker in der Erzeugerregion genutzt werden kann und wie die Rahmenbedingungen für die Bürgerenergie verbessert werden können.
- Netzausbau
Hier werden Rechtsänderungen umgesetzt, um die Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Bereits 2022 werden weitere Leitungen im Übertragungsnetz in den Bundesbedarfsplan aufgenommen. Netze für Strom, Erdgas, Wasserstoff und Wärme dürfen nicht mehr unabhängig geplant werden. Insbesondere von dezentralen Erzeugern wie PV-Anlagen und flexiblen Verbrauchern (u.a. Ladeeinrichtungen für Elektromobile und Wärmepumpen) sind netzdienliche Informationen bereitzustellen, die Steuerung dieser Anlagen über intelligente Messsysteme ist zu ermöglichen.
- Grüner Wasserstoff
Das Ausbauziel für Elektrolyseure bis 2030 wird gegenüber dem bisherigen Ziel auf 10 GW verdoppelt, Investitionen in Wasserstofftechnologien werden finanziell gefördert und durch rechtliche Rahmenbedingungen bezüglich Erzeugung, Handel, Transport und Einsatz von grünem Wasserstoff flankiert, unterstützt durch Regeln auf europäischer Ebene, zum Beispiel durch Etablierung von Zertifizierungssystemen, den Ausbau der Wasserstofftransportnetze, die Entwicklung eines europäischen Wasserstoffbinnenmarktes sowie Importpartnerschaften.
- Windenergie und Photovoltaik
Entsprechend der im Koalitionsvertrag vereinbarten Ausbauziele ist bis 2030 eine Leistung von über 100 GW Windenergie an Land nötig. Inklusive des Rückbaus älterer Anlagen bedeutet das mehr als eine Verdopplung der derzeit installierten Leistung. Insbesondere hier werden Planungs- und Genehmigungsverfahren stark beschleunigt, u. a. indem ein zeitlich bis zum Erreichen der Klimaneutralität befristeter Vorrang für Erneuerbare Energien bei der Schutzgüterabwägung geschaffen wird. Bei Wind auf See werden die Ausbauziele bereits für 2030 von 20 auf 30 GW erhöht, um 40 GW bis 2035 und mindestens 70 GW bis 2045 zu erreichen. Windenergieanlagen auf See wird künftig Priorität in der ausschließlichen Wirtschaftszone (200-Meilen-Zone) eingeräumt. Außerdem werden Ko-Nutzungen und grenzüberschreitende Projekte vorangetrieben. Bei der Photovoltaik soll die installierte Leistung bis 2030 auf 200 GW steigen, eine Verdreifachung gegenüber dem Status quo. Zum Vergleich: Ein KKW leistet etwa 1,4 GW. Die derzeit in Deutschland installierte Kraftwerksleistung beträgt etwa 240 GW. Der künftige Strombedarf wird deutlich höher sein – unter anderem wegen E-Autos und umweltfreundlicherer Heizungen.
- Industrie
Zu Beginn der Legislaturperiode sollen die rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen für die Bereitstellung von Klimaschutzdifferenzverträgen (Carbon Contracts for Difference) als zentralem Instrument zur Unterstützung der Transformation in der Industrie geschaffen werden. Auch neue Anreize für den Einsatz klimafreundlicher Technologien, insbesondere durch so genannte „Superabschreibungen“, sind ein zentrales Projekt für das Jahr 2022. Die Energie- und Ressourceneffizienz wird gestärkt, indem etwa Abwärmepotenziale erschlossen, Stoffkreisläufe geschlossen und Industrievergünstigungen im Energiesteuerbereich an die Umsetzung wirtschaftlicher Energieeffizienzmaßnahmen geknüpft sowie europäische Produktstandards weiterentwickelt werden. Ziel ist es, grüne Leitmärkte zu schaffen, die Unternehmen in die Lage versetzen, „Green Premiums“ gewinnbringend zu entwickeln und abzusetzen, u.a. durch öffentliche Beschaffung. Zudem ist eine ganzheitliche interdisziplinäre Leichtbaustrategie für alle Branchen, Materialien und Fertigungsverfahren geplant. Weitere Maßnahmen werden im Laufe der Legislaturperiode folgen, um die deutsche Industrie sowohl wettbewerbsfähig als auch klimaneutral aufzustellen. International will die Regierung für gesteigerte Ambitionen im Bereich der Industrie sorgen, deren Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und Carbon Leakage zu vermeiden, etwa durch Gründung eines internationalen, offenen und kooperativen Klimaclubs. Dessen Hauptziele sind langfristig die Erzielung eines global einheitlichen CO2-(Mindest)Preises sowie die Vereinbarung internationaler Transformationsstandards zum Beispiel im Bereich der Wasserstoffwirtschaft. Hierfür wird die deutsche G7-Präsidentschaft im Jahr 2022 genutzt.
- Verkehr
Um bis 2030 eine Million öffentlich und diskriminierungsfrei zugänglicher Ladepunkte in Deutschland mit Schwerpunkt auf Schnellladeinfrastruktur zu erreichen, muss der Ausbau dynamischer werden, um bereits 2025 einen jährlichen Zubau von ca. 100.000 öffentlich zugänglichen Ladepunkten zu schaffen. Plug-in-Hybride mit auf das elektrische Fahren optimierter Reichweite und Nutzung sollen die Treibhausgas-Emissionen weiter vermindern. Nach 2035 sollen nur noch nachweisbar mit E-Fuels betankbare Verbrenner neu zugelassen werden dürfen. Um beim Lkw-Verkehr bis 2030 einen elektrischen Fahrleistungsanteil von über 30 Prozent zu erreichen, wurde mit dem Koalitionsvertrag die Einführung einer CO2-Differenzierung und eines CO2-Aufschlags bei der Lkw-Maut im Jahr 2023 vereinbart.
Strombasierte Kraftstoffe (Power-to-Liquid, PtL): Die Bundesregierung unterstützt ambitionierte PtL-Quoten im Luft- und Schiffsverkehr, um einen Markthochlauf anzureizen. Dies ist besonders relevant bei den Verhandlungen im Rahmen des EU-Fit-for-55-Pakets. Dazu müssen die Produktionskapazitäten für grünen Wasserstoff und grünes synthetisches Kerosin erheblich gesteigert werden.
- Gebäude
In diesem Bereich soll sehr viel passieren. Hier nur ein paar Details: Ab 1. Januar 2025 soll jede neu eingebaute Heizung auf der Basis von 65 Prozent Erneuerbarer Energien betrieben werden. Neuanschlüsse an Wärmenetze sollen insbesondere in den 2020ern erhöht und gleichzeitig die Dekarbonisierung der Wärmenetze vorangetrieben werden. Ab 1. Januar 2025 sollen alle Neubauten den Effizienzhaus (EH)-40-Standard einhalten. Ab 1. Januar 2024 sollen die auszutauschenden Teile bei wesentlichen Ausbauten, Umbauten und Erweiterungen von Bestandsgebäuden einem EH-70-Standard entsprechen. Diese Vorgaben sollen im Rahmen des Klimaschutz-Sofortprogramms noch 2022 umgesetzt werden. Außerdem wird ein digitaler Gebäuderessourcenpass eingeführt. Das Gebäude-Energie-Gesetz (GEG) wird im Lauf der Legislaturperiode grundlegend überarbeitet und die Vorgaben der europäischen Gebäuderichtlinie, der Erneuerbare-Energien-Richtlinie und der Energieeffizienzrichtlinie mit Blick auf das Ziel des klimaneutralen Gebäudebestands 2045 umgesetzt. Daraus folgt ein ganzes Bündel von Maßnahmen, die zum Beispiel die Erneuerbare-Energien-Regelungen für neu eingebaute Heizungen treffen oder Impulse für die Steigerung der Effizienz und die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung im Gebäudesektor (z.B. mittels Stärkung von Quartiersansätzen, Sektorkopplung und verstärkter Betrachtung von grauer Energie und Lebenszykluskosten) setzen.
- Wärmeplanung und Wärmenetze
Ziel ist eine flächendeckende kommunale Wärmeplanung. Dafür wird gemeinsam mit den Ländern ein gesetzlicher Orientierungsrahmen (Gesetz für kommunale Wärmeplanung) geschaffen, der den Akteuren vor Ort bei Infrastruktur, Wärmeerzeugung und Gebäuden mehr Planungs- und Investitionssicherheit gibt. Das Kompetenzzentrum Kommunale Wärmewende in Halle an der Saale wird als bundesweite zentrale Anlaufstelle für Kommunen zur kommunalen Wärmewende etabliert. Möglichst schnell soll eine Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) inkraftgesetzt werden. Damit soll auch tiefe Geothermie gefördert werden. Auch der Abbau von nichtmonetären Barrieren für eine stärkere Abwärmenutzung wird weiter angegangen.
- Landnutzung und Wälder
Der Sektor Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (Land Use, Land Use Change and Forestry, LULUCF) hatte 2020 eine Emissionsbilanz von minus 11,3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten. Diese Senkenfunktion soll bis 2030 auf 25 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente ausgebaut werden. Die im bisherigen Klimaschutzprogramm 2030 enthaltenen Maßnahmen für den LULUCF-Sektor müssen dafür konsequent weiter vorangetrieben und ergänzt werden. Dazu bedarf es einer soliden Finanzierung für die Renaturierung bzw. Wiederherstellung von Ökosystemen, insbesondere Mooren, Wäldern, Auen und Grünland, und der Förderung von Nutzungsformen, die im Einklang mit dem Klimaschutz und dem Erhalt der Biodiversität stehen.
- Abfall- und Kreislaufwirtschaft
Die Bundesregierung will die Kreislaufwirtschaft als effektiven Klima- und Ressourcenschutz fördern. Hierzu werden der bestehende rechtliche Rahmen angepasst, klare Ziele definiert und abfallrechtliche Vorgaben überprüft. In einer „Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie“ werden bestehende rohstoffpolitische Strategien gebündelt. Auf dieser Grundlage will sich die Ampel in der EU für einheitliche Standards einsetzen.
- Handlungsbedarf EU
Oberste Priorität in der EU-Klimapolitik hat der schnelle Abschluss der Verhandlungen zum „Fit for 55“-Paket. Möglichst bis zum Sommer soll eine Einigung der Mitgliedstaaten bezüglich der allgemeinen Ausrichtung zu allen wesentlichen Dossiers des „Fit for 55“-Pakets erreicht werden. Allerdings besteht insbesondere für andere Staaten noch Klärungsbedarf, zum Beispiel in Bezug auf die Stärkung und Ausweitung des bestehenden EU-Emissionshandels, die Einführung eines separaten EU-Emissionshandels für Gebäude/Wärme und Verkehr und den hiermit verbundenen Sozial-Klimafonds, den Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) und die CO2-Grenzwerte für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge. Deutschland könnte bei den Verhandlungen eine Schlüsselrolle zukommen. Die Bundesregierung wird Kontakt zu wichtigen EU-Partnern aufnehmen, um Vertrauen aufzubauen und gemeinsame Kompromissräume auszuloten, insbesondere in Süd-, Mittel- und Osteuropa.
- Handlungsbedarf International
Der Klimaschutz steht ganz oben auf der Agenda der deutschen G7-Präsidentschaft im Jahr 2022, die unsere Regierung nutzen will, um unter dem Leitmotto „Transforming now for 1.5 C“ gemeinsam mit den internationalen Partnern die Reduzierung von Treibhausgasemissionen und deren Bepreisung voranzubringen, in nachhaltige Klima- und Energiekonzepte zu investieren, die Energiewende zu beschleunigen sowie die Gesellschaften und Wirtschaft in G7 und darüber hinaus resilienter und anpassungsfähiger zu machen. Ein Ziel dabei ist ein für alle Staaten offener und kooperativer globaler Klimaclub. Ein weiterer Punkt ist der Dialog mit China und die Zusammenarbeit mit den großen Schwellenländern Indien, Indonesien, Südafrika und Brasilien. Der Bund will in dieser Legislaturperiode die (von Deutschland finanzierte) Internationale Klimaschutzinitiative (IKI) (mit derzeit 600 Millionen Euro Jahresbudget) weiter ausbauen, um Entwicklungs- und Schwellenländer stärker bei der Umsetzung von ambitionierten Klimaschutzmaßnahmen zu unterstützen. Mit strategischen Partnern außerhalb der EU werden die bestehenden Energiepartnerschaften ausgebaut und neue initiiert, auch um im Hinblick auf die Versorgung Deutschlands mit klimaneutralen Energieträgern wie grünem Wasserstoff. Entsprechende Förderinstrumente sollen verstetigt bzw. aufgebaut, das deutsche Projekt H2Global auf die europäische Ebene gehoben werden.
Gerhard Seitfudem