Geschafft dank grüner Frauenpower

Ein Hoch auf die österreichische Umweltministerin Leonore Gewessler! Das Nature Restoration Law (eigentlich eine Verordnung, kein Gesetz), bei uns meist „Renaturierungsgesetz“ genannt, ist verabschiedet. In der neuen Legislaturperiode wäre das kaum möglich. Denn das Abstimmverhalten beim Renaturierungsgesetz – einem Teil des Green Deals – zeigt vorab, wo die Reise hingeht: Im EU-Parlament waren S&D, Grüne und Linke dafür, auch zwei Drittel der Liberalen und der Fraktionslosen, aber ID, EKR und vier Fünftel der EVP waren dagegen. Besonders negativ aufgefallen sind CDU/CSU, FDP, Freie Wähler und natürlich die AfD. Sie haben komplett gegen das Gesetz gestimmt. Angeführt vom im Fernsehen immer freundlich wirkenden Manfred Weber wollte die EVP das EU-Renaturierungsgesetz im Europaparlament stoppen, ohne darüber zu verhandeln. Dazu führte sie, schreibt die Stiftung Meeresschutz, „eine aggressive Desinformationskampagne durch, die in Teilen Erfolg hatte.“ Laut Weber lässt die Verordnung die Zukunft der Nahrungsproduktion offen. Das ist definitiv falsch; man kann das zum Beispiel beim österreichischen Umweltbundesamt nachlesen (Link am Ende des Beitrags). Bei der Abstimmung im Ministerrat waren Finnland, Ungarn, Italien, die Niederlande, Polen und Schweden gegen die Verordnung. Belgien enthielt sich. Eine CDU/CSU-geführte Bundesregierung hätte das Gesetz wohl verhindert.

Das Gesetz ist dringend nötig, weil mehr als 80 Prozent der europäischen Biotope in einem schlechten Zustand sind. Diese Zahlen sind wissenschaftlich belegt.

Worum geht es in der EU-Verordnung?

(Anmerkung: Der Text ist aus etlichen Quellen zusammengestellt, die sich zum Teil deutlich in ihren Formulierungen unterscheiden. Es kann also vorkommen, dass hier verwendete Formulierungen nicht exakt die Intention der Verordnung treffen. Das sollte aber für das Gesamtverständnis kein Problem sein.)

Geschädigte Ökosysteme und Lebensräume sind bis zum Jahr 2050 wieder in einen guten Zustand zu versetzen. Bezogen auf die gesamte EU sollen 20 % der Land- und Wasserflächen wiederhergestellt, also so restauriert werden, dass sie ihre natürlichen ökologischen Funktionen wieder erfüllen können, statt rein auf Bewirtschaftung ausgerichtet zu sein.

Dazu gibt es massenweise Unterziele:

  • Innerhalb von zwei Jahren sollen die Staaten einen nationalen Restaurierungsplan erstellen, wie sie die Umwelt in einen ursprünglicheren Zustand bringen.
  • Von den Agrarflächen sollen 10 Prozent als Naturflächen wiederhergestellt werden; das bedeutet aber nicht automatisch eine Stilllegung.
  • Bis 2030 soll erreicht werden, dass es in der EU wieder insgesamt wieder 25.000 km frei fließende Fließgewässer gibt. Dafür sind Barrieren wie Staudämme und Längsverbauungen zu entfernen, sofern sie nicht für die Produktion erneuerbarer Energie, für die Binnenschifffahrt, die Wasserbereitstellung oder den Hochwasserschutz benötigt werden.
  • Schutzvorgaben für die Waldökosysteme. Auf nationaler Ebene ist bis 2030 ein Aufwärtstrend beim Index häufiger Waldvogelarten und von mindestens sechs der nachfolgenden sieben Indikatoren bis 2030 zu erzielen: (1) stehendes, (2) liegendes Totholz, (3) Anteil der Wälder mit uneinheitlicher Altersstruktur, (4) Waldvernetzung, (5) Bestände an organischem Kohlenstoff, (6) Anteil der Wälder mit überwiegend heimischen Baumarten, (7) Vielfalt der Baumarten.
  • 30 Prozent der Moorflächen sollen bis 2030 renaturiert werden, davon mindestens ein Viertel wiedervernässt. 50 Prozent bis 2040, davon mindestens die Hälfte wiedervernässt. 2050 sollen schließlich 70 Prozent der derzeit entwässerten landwirtschaftlichen Moorflächen wiederhergestellt sein.
  • Bis 2030 soll kein Nettoverlust der Grünflächen in Siedlungsgebieten stattfinden, danach soll eine Zunahme der städtischen Grünflächen erfolgen.
  • Die natürliche Bestäubung durch Insekten soll verbessert werden: Der Rückgang der Bestäuber soll bis 2030 aufgehalten werden, um danach eine Zunahme zu erreichen.
  • Die Länder sind verpflichtet, bis 2030 bis zu 30 % ihrer geschädigten Meereslebensräume wiederherzustellen. Hierzu sollen sie nationale Wiederherstellungspläne verabschieden.
  • Neue Bestimmungen sollen sicherstellen, dass die Länder bis spätestens Mitte 2028 gemeinsame Fischereiregeln verabschieden. Die zerstörerischen Fischereipraktiken eines Landes dürfen nicht die Wiederherstellungsbemühungen eines anderen beeinträchtigen.

Leider haben Konservative und Reaktionäre – die hier an einem Strang ziehen – den ursprünglichen, ambitionierteren Entwurf der EU-Kommission in langen Verhandlungen verwässert. Aus den ursprünglich harten verpflichtenden Maßnahmen des Renaturierungsgesetzes wurden im Zuge der Verhandlungen weiche Absichtserklärungen mit Ausnahmeregelungen für die Landwirtschaft. Regelungen zur Wiederherstellung landwirtschaftlicher Flächen entfielen, die auch entwässerte Moore betreffen. Auch war geplant, dass die Mitgliedsstaaten unverzüglich und verpflichtend Maßnahmen zur Wiederherstellung von Land-, Küsten-, Süßwasser- und Meeresökosystemen ergreifen, die sich in einem schlechten Zustand befinden. Und zwar auf mindestens 20 Prozent dieser Flächen bis 2030. Auf 60 Prozent bis 2040 und auf 90 Prozent bis 2050. Wo diese Ökosysteme bereits verschwunden sind, sollten die Mitgliedsstaaten verpflichtend Wiederherstellungsmaßnahmen ergreifen.

„Nun gilt es, die neue Verordnung zügig in Deutschland umzusetzen. Eine Schwächung besteht beispielsweise darin, dass für den Fall, dass in der Landwirtschaft Ertragseinbußen drohen, Maßnahmen ausgesetzt werden können. Hier liegt das überkommene Verständnis zugrunde, dass die Agrarproduktion mithilfe intensiver Inputs wie etwa Düngemittel und Pestizide die einzig erfolgversprechende ist. Was wir aber brauchen, ist das grundsätzliche Hinterfragen unseres Wirtschaftens – ein Kernelement der Transformation,“ schreibt das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung.

Auf Deutschland und die anderen Länder wartet eine gigantische Aufgabe: Allein in Deutschland können 1,5 Millionen Hektar entwässerte Moorböden neu und nachhaltig genutzt werden. „Wir müssten jährlich 50.000 bis 70.000 Hektar Moorböden wieder vernässen, um unsere Klimaziele zu erreichen“, sagt Tilmann Disselhoff, Leiter des Teams European Wetlands des Nabu, „das ist eine ungeheure Aufgabe.“

Die Fraktion um Weber sei Sprachrohr der Lobbyvertretung der europäischen Landwirte Copa-Cogega und der Agrarindustrie gewesen. Er habe von der Leyen vor sich hergetrieben, sagt Henrik Maaß, Referent für europäische Agrarpolitik bei der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Es sei nicht nur um das Renaturierungsgesetz gegangen. Man habe ja vorher bereits die Verordnung für einen nachhaltigen Umgang mit Pestiziden oder für ein nachhaltiges Ernährungssystem fallen gelassen und die Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik insgesamt aufgeweicht. Damit sei man auf einen einen Stand von vor zehn Jahren zurückgefallen, die Aufbruchstimmung, die es nach der Vorstellung des Green Deals gab, sei weg.

Trotzdem: Das Renaturierungsgesetz trägt dazu bei, dass Europa das auf der UN-Biodiversitätskonferenz 2022 in Montreal vereinbarte 30×30-Ziel zum Erhalt der natürlichen Artenvielfalt erreichen kann, nach dem mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen bis 2030 unter Schutz zu stellen sind.

In Deutschland könnten weitere Hürden in Richtung Renaturierung folgen: erstens der Unwillen von Union, FDP und AfD, die eigentlich verpflichtende Verordnung umzusetzen; zweitens das Festhalten an der Schuldenbremse; drittens der Mangel an Fachkräften; viertens der Widerstand der Landwirte mit ihrer mächtigen Lobby. Die nächste Bundestagswahl wird extrem wichtig.

Gerhard Seitfudem

Quellen, in zufälliger Reihenfolge:
https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-6985-2024-INIT/DE/pdf
https://www.bmk.gv.at/service/presse/gewessler/2024/0619_renaturierungsgesetz.html
https://www.ufz.de/index.php?de=36336&webc_pm=22/2024
https://taz.de/EU-Gesetz-zur-Renaturierung/!6014575/
https://taz.de/Agrarlobby-gegen-Naturschutz/!6012538/
https://www.stiftung-meeresschutz.org/presse/eu-renaturierungsgesetz/
https://de.wikipedia.org/wiki/Verordnung_zur_Wiederherstellung_der_Natur
https://www.umweltbundesamt.at/naturschutz/nature-restoration-regulation/oekonomischer-nutzen/fragen-und-antworten
https://www.umweltbundesamt.at/naturschutz/nature-restoration-regulation