Am 7. November veröffentlichte die Washington Post einen ausführlichen Beitrag mit dem Titel „Countries´ climate pledges built on flawed data“.
Es beginnt mit Bemerkungen zu Malaysia. Der letzte Bericht dieses Lands zu Treibhausgasemissionen suggeriert, dass die Bäume dort CO2 viermal so schnell aufnehmen können wie ähnliche Wälder in Indonesien. Damit weist es gegenüber dem 2016er Bericht 243 Millionen Tonnen CO2-Emissionen weniger aus, sagenhafte 73 Prozent.
Eine Untersuchung von 196 Ländern zeigt eine gigantische Lücke zwischen den veröffentlichten und den realen Treibhausgas-Emissionswerten – in Summe irgendein Wert zwischen 8,5 und 13,3 Milliarden Tonnen. Das ist mehr als die Emissionen der USA, der höhere Wert liegt fast auf dem Emissionsniveau von China und entspricht nach Angaben der Washington Post etwa 23 Prozent der gesamten von Menschen gemachten Emissionen. Und damit sind wir beim Hauptproblem. Der Plan zur Rettung der Welt vor der Klimakrise basiert auf Daten. Doch die Daten, mit denen man arbeitet, sind ungenau. Und damit wird auch die in Glasgow verhandelte Roadmap fehlerhaft. Und die Herausforderung, vor der wir stehen, ist noch größer, als es die Regierungen der Welt bisher akzeptiert haben. Die UN scheint sich dieser Sache bewusst zu sein und dessen, dass die Berichtsprozesse verbessert werden müssen.
Die Lücke in den Emissionswerten beruht auf fraglichen Standards für die Berichte, unvollständigen Berichten, willentlichen Fehlern und in einigen Fällen auch der Tatsache, dass die vollen menschlichen Auswirkungen auf den Planet in den Berichten nicht dargestellt werden müssen.
Nach der Analyse der „Post“ beruhen mindestens 59 Prozent der Lücke aus der Bilanzierung von Emissionen des Bodens, einem Sektor, der insofern besonders kritisch ist, als er dem Klima sowohl nützen, als auch schaden kann – je nach Zustand.
Eine zentrale Ursache für die Fehler rührt daher, dass die Regeln der UN den Ländern erlauben, die Emissionen aus dem Verbrauch fossiler Brennstoffe in ihren Bilanzen dadurch zu kompensieren, dass CO2 durch Böden auf ihrem Gebiet aufgenommen wird. Das kann dazu führen, dass Länder wie Russland, die USA oder China viel emittieren können und trotzdem „Netto-Null-Emission“ erreichen.
Ein weiterer Fehler bei der Berechnung der Treibhausgase: Die Emission von Methan, dem zweitgrößten Treiber der Erderwärmung, wird viel zu niedrig angesetzt: Bei der Versorgung mit Öl und Gas, wo es aus Lecks in den Pipelines und anderen Quellen entweicht; bei der Landwirtschaft, sprich den Verdauungsgasen von Kühen und anderen Wiederkäuern; und beim menschlichen Abfall, insbesondere von Müllkippen. Nach Angaben der EU könnte die schnelle Reduktion des Methanausstoßes den Temperaturanstieg bis 2050 um 0,2 Grad einschränken.
Der größte Emittent von Methan ist Russland. Aber Russland weist viel zu geringe Werte aus. Das Gleiche gilt für viele Öl- und Gasproduzenten in der Golfregion. Methanemittierende Lecks können wir mittels moderner Satelliten identifizieren – aber es gibt noch keine Pflicht, solche Daten zu nutzen.
Auch die angegebenen Emissionswerte für Fluorverbindungen (aus Kühl- und Klimaanlagen und der Elektrizitätsversorgung) sind zu niedrig. Aber Dutzende Länder weisen diese Emissionen überhaupt nicht aus – obwohl gerade diese Emissionen einen wachsenden Anteil an den Treibhausgasen ausmachen. Vertreter Vietnams zum Beispiel behaupten, dass aus Kühl- und Klimaanlagen keine Fluorverbindungen entweichen. Das stimmt nicht: Zum Beispiel entweichen bei den US-Supermärkten jedes Jahr 25 Prozent der fluorhaltigen Kühlmittel.
Noch einmal: Das Berichtssystem der UN verursacht viele Probleme, die zur Wertelücke beitragen. Industriestaaten und weniger entwickelte Länder haben unterschiedliche Berichtsstandards, die darauf basieren, dass die Industriestaaten historische Verantwortung für die meisten Treibhausemissionen seit Beginn der Industrialisierung tragen und dass sie mehr technologische Möglichkeiten haben, ihre Emissionen zu analysieren. Zudem veröffentlichen viele Länder ihre Zahlen sehr unregelmäßig, eine permanente Aktualität wäre wünschenswert.
Das 1995 verabschiedete Abkommen von Paris sieht für Ende 2024 ein transparenteres Reportingsystem vor, aber es könnte bis 2030 dauern, bis es installiert ist. Angesichts der dringenden Herausforderungen ist das fast eine Ewigkeit.
Gerhard Seitfudem