Wo die Ampelkoalition neben der Spur fährt

Der Koalitionsvertrag ist unterschrieben. Immer wieder findet man darin Stellen, an denen jeweils eine der drei Parteien eine Kröte schlucken musste. Eine besonders fette Kröte steckt im Mobilitätspaket – vielleicht dem schwächsten Teil der Vereinbarung. Die Mehrheitsverhältnisse in der Regierung geben kaum mehr her, schließlich hätten bessere Ziele bei der Mobilität beim allgemeinen Tauziehen an anderen Stellen schlechtere Ziele bewirkt: bei der Wirtschaftspolitik, Klima, Umwelt, Bauen, Landwirtschaft oder gesellschaftlichen Themen. Diese Bereiche lassen sich nur schwer gegeneinander aufrechnen, doch wenn man sich zum Beispiel die Daten für den CO2-Ausstoß in Deutschland anschaut, wird klar, dass Verkehr nur eine Baustelle ist. Zudem ist es die Baustelle, bei denen wir alle durch individuelle Verhaltensänderungen besonders viel bewirken können – unabhängig von den Entscheidungen im Verkehrsministerium.

Schauen wir uns ein paar Elemente an, wo die Kröte besonders giftig ist. Was inhaltlich aus der Koalitionsvereinbarung übernommen ist, ist rot ausgezeichnet, Originalzitate stehen zusätzlich in Anführungszeichen.

Allgemeine Verkehrsinfrastruktur

„Die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur müssen weiter erhöht und langfristig abgesichert werden. Dabei wollen wir erheblich mehr in die Schiene als in die Straße investieren, um prioritär Projekte eines Deutschlandtaktes umzusetzen. Bei den Bundesfernstraßen wollen wir einen stärkeren Fokus auf Erhalt und Sanierung legen, mit besonderem Schwerpunkt auf Ingenieurbauwerke [also wahrscheinlich vor allem marode Brücken, das große Dilemma!]. Dazu werden wir den Anteil der Erhaltungsmittel bis 2025 bei wachsendem Etat schrittweise erhöhen. Wir streben einen neuen Infrastrukturkonsens bei den Bundesverkehrswegen an. Dazu werden wir parallel zur laufenden Bedarfsplanüberprüfung einen Dialogprozess mit Verkehrs-, Umwelt-, Wirtschafts- und Verbraucherschutzverbänden starten mit dem Ziel einer Verständigung über die Prioritäten bei der Umsetzung des geltenden Bundesverkehrswegeplan. Bis zur Bedarfsplanüberprüfung gibt es eine gemeinsame Abstimmung über die laufenden Projekte. Wir werden auf Basis neuer Kriterien einen neuen Bundesverkehrswege- und -mobilitätsplan 2040 auf den Weg bringen.“

Das ist positiv, weil Verbände in die Planung einbezogen werden, was aber ganz klar fehlt, ist der zum Beispiel vom NABU geforderte grundsätzliche Stopp für den weiteren Bau von Fernstraßen bis zum Vorliegen des Bundesmobilitätsplans.

Bahnverkehr

Beim Bahnverkehr scheint man aktiver sein zu wollen als die bisherige Regierung: „Wir werden den Masterplan Schienenverkehr weiterentwickeln und zügiger umsetzen, den Schienengüterverkehr bis 2030 auf 25 Prozent steigern und die Verkehrsleistung im Personenverkehr verdoppeln. Den Zielfahrplan eines Deutschlandtaktes und die Infrastrukturkapazität werden wir auf diese Ziele ausrichten. Sofern haushalteerisch [So steht es in weichstmöglicher Verbindlichkeit da, inhaltlich und orthografisch!] machbar, soll die Nutzung der Schiene günstiger werden, um die Wettbewerbsfähigkeit der Bahnen zu stärken. … Grenzüberscheitenden Verkehr wollen wir stärken und mit der EU sowie ihren Mitgliedstaaten Nachtzugangebote aufbauen [Gut so, denn da hat die Deutsche Bahn ein gewaltiges Defizit!]. Bis 2030 wollen wir 75 Prozent des Schienennetzes elektrifizieren und innovative Antriebstechnologien unterstützen.“ Weitere Inhalte sind zum Beispiel das „Programm ‚Schnelle Kapazitätserweiterung’“, „Barrierefreiheit und Lärmschutz verbessern“, „Bahnhofsprogramme bündeln und stärken“, „Streckennetz erweitern, Strecken reaktivieren und Stilllegungen vermeiden und eine Beschleunigungskommission Schiene einsetzen“. Außerdem heißt es: „Bei neuen Gewerbe- und Industriegebieten soll die Schienenanbindung verpflichtend geprüft werden.“

Positiv ist aus meiner Sicht die klare Aussage: „Wir werden die Deutsche Bahn AG als integrierten Konzern inklusive des konzerninternen Arbeitsmarktes im öffentlichen Eigentum erhalten. Die internen Strukturen werden wir effizienter und transparenter gestalten.“ Ergänzend dazu heißt es: „Die Eisenbahnverkehrsunternehmen werden markt- und gewinnorientiert im Wettbewerb weitergeführt.“ Dazu passt die Aussage im Finanzkapitel der Koalitionsvereinbarung: „Wir wollen die Investitionsmittel für die DB Infrastruktur erhöhen. Bestehende staatliche Gesellschaften wie die Deutsche Bahn AG (Infrastrukturbereich) oder die BImA werden wir stärken und ihre Finanzierungsmöglichkeiten verbessern. Dafür können von Fall zu Fall Instrumente wie Kreditermächtigungen und Eigenkapitalstärkung genutzt werden.“ Ich interpretiere das so, dass die Bahn sich mit relativ großen Freiheiten Geld auf dem Kapitalmarkt besorgen kann, das sie dann wieder erwirtschaften muss. Es gibt also keine große Veränderung bezüglich der Tatsache, dass die Öffentliche Hand die Straßen finanziert, aber nicht oder nur per Fördermitteln die Schieneninfrastruktur.

Allerdings sollen die Infrastruktureinheiten (DB Netz, DB Station und Service) der Deutschen Bahn AG innerhalb des Konzerns zu einer neuen, gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte zusammengelegt werden, die zu 100 Prozent im Eigentum der Deutschen Bahn als Gesamtkonzern steht. Gewinne aus dem Betrieb der Infrastruktur verbleiben zukünftig in der neuen Infrastruktureinheit. Diese Maßnahme unterstützt zumindest eine klare Bilanzierung.

Öffentlicher Verkehr und neue Mobilitätsangebote

Diesen Abschnitt interpretiere ich als: „Wir fördern, wo möglich, Ausbau, Modernisierung, Barrierefreiheit, Intermodalität [also Durchgängigkeit zwischen unterschiedlichen Verkehrsträgern], wollen faire Bezahlung der Beschäftigten und wollen einen gemeinsamen Pakt von Kommunen, Ländern und Bund zur Modernisierung.“ Zudem gilt: „Am Vorrang eigenwirtschaftlicher Verkehre halten wir fest.“ Das sieht so aus, als hoffe der Bund, dass sich vieles ganz von selbst regelt und die Kommunen freiwillig die Hausaufgaben machen, die er ihnen nicht erteilt.

Lkw-Verkehr

Dazu gibt es sehr wenig Aussagen, ein bisschen was zum CO2-Zuschlag. Hier fehlt ein deutlicher Hinweis auf die Elektrifizierung der Lkw und die entsprechende Ladestruktur, vielleicht auch zum Teil motiviert durch den Traum vom günstig verfügbaren Wasserstoff als Antrieb insbesondere für Lkw.

Kfz-Verkehr

Hier steht leider die Förderung der Kfz-Industrie ganz vorne, Deutschland soll „Leitmarkt für Elektromobilität mit mindestens 15 Millionen Elektro-Pkw im Jahr 2030“ sein, mit entsprechender Ladeinfrastruktur. Mit den vielen bis dahin noch zugelassenen Benzinern und Dieslern ist das nur eine unwesentliche Reduktion der zugelassenen Pkw, ich schätze mal um 20 Prozent. (Grundlage dieser Schätzung: Anfang 2021 waren in Deutschland ca. 48 Mio. Pkw zugelassen. Bis zur Verschrottung fahren Pkw bei uns ca. 18 Jahre, Tendenz steigend. Realistisch ist damit, dass mindestens die Hälfte davon 2030 noch fährt, wenn auch ein Teil davon vielleicht im Ausland. Falls es gut die Hälfte sein wird, fahren bei uns inklusive der E-Autos 2030 immer noch mindestens 40 Mio. Pkw.)

De facto geht es der neuen Regierung im Pkw-Bereich also primär um eine Antriebswende, nicht um eine Mobilitätswende. Und so heißt es explizit: „Ein generelles Tempolimit wird es nicht geben.“ Das macht in Sachen Treibhausgasemission keinen besonders großen Effekt, aber der Satz ist ein Signal, dass die Ampel keinerlei Initiative ergreifen will, die Automobilindustrie und die Verbraucher in Richtung kleinerer, schwächer motorisierter Fahrzeuge zu bewegen. Diese wären auch bei niedrigeren Geschwindigkeiten umweltfreundlicher und ihre Produktion würde weniger Ressourcen verschlingen. Zur 130plus-Strategie passt auch der Plan, begleitetes Fahren ab 16 Jahren zu ermöglichen, „um Jugendliche schon frühzeitig für die Gefahren im Straßenverkehr zu schulen.“ Allerdings ist das im Einklang mit Wünschen des ADAC und aus meiner Sicht auch im Hinblick auf das ersehnte Bundestagswahlrecht ab 16 konsequent.

Der Abschnitt „Wir werden Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrsordnung so anpassen, dass neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden, um Ländern und Kommunen Entscheidungsspielräume zu eröffnen.“ lässt leider einen viel zu großen Interpretationsspielraum! Hoffen wir aber, dass daraus mehr Möglichkeiten zur großflächigen Umsetzung von Tempo 30 in Städten und Kommunen resultieren. Hannover, Münster, Leipzig, Aachen, Ulm, Augsburg und Freiburg hoffen hier auf eine schnelle Gesetzesänderung. Schließlich wird Tempo 30 in großen europäischen Städten (Paris, Madrid, Barcelona, Helsinki, …) immer häufiger zur Regelgeschwindigkeit.

Ein weiteres peinliches Element im Koalitionsvertrag: Dienstwagen werden weiter üppig gefördert, Steuervorteile für fragwürdige Plug-in-Hybride bleiben vorerst weiter bestehen.

Radverkehr

Vielleicht der allerschwächste Teil im schwachen Mobilitätskapitel. Die Ziele sind absolut mau: „Wir werden den Nationalen Radverkehrsplan umsetzen und fortschreiben, den Ausbau und die Modernisierung des Radwegenetzes sowie die Förderung kommunaler Radverkehrsinfrastruktur vorantreiben. Zur Stärkung des Radverkehrs werden wir die Mittel bis 2030 absichern und die Kombination von Rad und öffentlichem Verkehr fördern. Den Fußverkehr werden wir strukturell unterstützen und mit einer nationalen Strategie unterlegen.“ So mau, dass sogar Andi Scheuer diesen Passus entspannt kritisieren konnte – schließlich sieht das zumindest auf den ersten Blick nicht nach einer intensiveren Förderung des Radverkehrs gegenüber der letzten Legislaturperiode aus.

Schiffsverkehr

Zwar soll der Schiffsverkehr zum Beispiel durch alternative Kraftstoffe, Antriebe und ein angepasstes Flottenerneuerungsprogramm sowie Zertifikate entsprechend den Plänen der EU (Programm „Fit for 55“) klimafreundlicher werden, aber die einzige Formulierung zu Natur und Klima, „Wir werden einen gesamtgesellschaftlichen Dialog zu Klimaresilienz und Naturschutz bei Wasserstraßen initiieren“, ermöglicht einen weiten politischen Spielraum und bietet kaum Anreiz, sich mehr zu beeilen, als es EU-weit vorgesehen ist. Der Schifffahrtsanteil am [wahrscheinlich Binnen- und internationalen] Güterverkehr soll generell gesteigert werden, was bei umweltfreundlichen Antrieben okay ist. Ein Hinweis auf künftig vermehrt mögliche Niedrigwasserperioden, die den Binnenverkehr einschränken oder verhindern, fehlt. Konkretere Ziele wären nützlich, auch im Sinne der Planungssicherheit der Flottenbetreiber und unserer Werftindustrie, die wahrscheinlich auch gegenüber internationalen Wettbewerbern davon profitieren könnte.

Luftverkehr

Hier lautet die Stoßrichtung: Wir machen das Fliegen besser und weniger umweltschädlich. „Wir wollen die deutsche Luftverkehrswirtschaft und -industrie als Schlüsselbranchen nachhaltig und leistungsfähig weiterentwickeln, …“

Dazu gehört, sicher sinnvoll, dass Deutschland „Vorreiter beim CO2-neutralen Fliegen wird“. Eine wirkliche Einschränkung gibt es nicht, aber die künftige Regierung will „durch bessere Bahnverbindungen die Anzahl von Kurzstreckenflügen verringern“. Das ist zwar ein richtiger Ansatz, aber keine kurzfristige Lösung. Doch immerhin will man sich bei der EU dafür einsetzen, dass Flugtickets nicht zu einem Preis unterhalb der Steuern, Zuschläge, Entgelte und Gebühren verkauft werden dürfen.

Sicher ist noch deutlich mehr zu kritisieren. Das tun Verbände wie zum Beispiel der NABU oder die Deutsche Umwelthilfe. Vielleicht lässt sich ja doch an der einen oder anderen Stelle etwas nachbessern.

Gerhard Seitfudem