Es ist keine neue Erkenntnis: Die Meere werden wärmer. Neu ist: Sie sind derzeit viel wärmer als erwartet, als berechnet. Die Meeresoberflächentemperatur variiert von Jahr zu Jahr. Eliminiert man kurzfristige Schwankungen, sieht man einen kontinuierlichen Anstieg. Aber in diesem Jahr weicht die Veränderung deutlich vom bekannten Muster ab.
Im Alltag spüren wir den Temperaturanstieg der Luft. Der 6. Juli 2023 war mit 17,23 °C der bisher weltweit heißeste Tag seit 1979, die dazugehörige Woche ebenfalls die heißeste. Da die weltweite Temperatur seit Anfang des 19. Jahrhunderts steigt, war dieser Tag wahrscheinlich auch der heißeste der letzten 200 Jahre. Der alte Rekordwert von 2016 und 2022 lag bei 16,92 Grad (Quelle). 0,31 °C mehr hören sich nach wenig an, doch da es sich um einen weltweiten Mittelwert handelt, sieht die Wahrheit anders aus: Es ist eine gigantische Differenz.
Was wir im Alltag nicht spüren: Ein großer Teil der Erderwärmung spielt sich in den Meeren ab, sie speichern viel mehr Wärme als die Atmosphäre. Was im Meer passiert, wirkt sich aufs gesamte Weltklima aus. Die obere der beiden Grafiken zeigt den täglichen Verlauf der Meeresoberflächentemperatur zwischen 60° Süd und 60° Nord seit 1981, die untere den täglichen Verlauf der Meeresoberflächentemperatur im Nordatlantik zwischen 0 und 60° Nord und 0° und 80° West. Die orange Linie zeigt jeweils den Temperaturverlauf 2022, die fette schwarze Linie den Verlauf 2023 bis zum 8. Juli. Es sieht aus, als wären seit März 2023 die Meere völlig aus dem Gleichgewicht geraten. Die Temperaturdifferenz zum Vorjahr beträgt im ersten Bild 0,3 °C, im zweiten 0,8 °C. Was heißt das akut? Zum Beispiel weiterer Anstieg des Meeresspiegels, verstärktes Korallensterben und damit Vernichtung von Lebensräumen im Meer, weitere teilweise extreme regionale Temperaturirritationen, vielleicht auch bei uns in Bubenreuth. Es kann also sein, dass der Klima-Kippzeitpunkt schon ganz nahe ist. Wenn wir Glück haben, nicht. Aber auf das Glück sollten wir nicht spekulieren.
Gerhard Seitfudem
(Inhaltlicher Stand des Beitrags: 9.7./24.7.2023)