Das GRÜNE Wahlprogramm. Erster Teil: Wir wollen in die Zukunft wirtschaften

Ich habe mich in den letzten Tagen intensiv mit dem Teil des GRÜNEN Wahlprogrammentwurfs beschäftigt, der sich mit Wirtschaft, Digitalisierung, Handel und Finanzen beschäftigt, unter dem Titel „In die Zukunft wirtschaften“. Und ich bin begeistert von dem, was meine Partei dazu formuliert hat. Es ist deutlich stärker als ich dachte: Man hat an die Umwelt gedacht, an die Menschen, an Europa und die globalisierte Welt, an die Kultur, an Handwerksbetriebe genauso wie mittlere und große Unternehmen. Die Kritik, die jetzt bereits vom politischen Gegner kommt, an die Finanzierbarkeit hätten wir nicht gedacht, kann ich absolut nicht nachvollziehen; es scheint mir eher eine verzweifelte Reaktion derer, weil selbst bisher wenig zu bieten haben.

Ich habe eine konzentrierte Version aus „In die Zukunft wirtschaften“ erstellt – und dabei versucht zu erfassen, was aus meiner Sicht besonders wichtig und was gegenüber anderen Parteien spezifisch und besonders ist – und euch damit einen schnellen Überblick über die GRÜNE Wirtschafts- und Finanzpolitik zu geben.

Gerhard Seitfudem

 

Und darum geht es im Programm:

WIR FÖRDERN UNTERNEHMERGEIST, WETTBEWERB UND IDEEN

Wir starten eine Innovationsoffensive: in schnelles Internet, Spitzenforschung vom Quantencomputer bis zur modernsten Biotechnologie, in klimaneutrale Infratrukturen, Ladesäulen, einen Ausbau der Bahn, emissionsfreie Busse und moderne Stadtentwicklung. Wir wollen, dass Deutschland bei öffentlichen Investitionen vom Nachzügler zum Spitzenreiter wird.

Wir wollen von Corona besonders hart getroffenen Branchen helfen: Restaurants, Hotels, Tourismus- und Veranstaltungsbranche, Kulturwirtschaft, Einzelhändler, Selbstständige. Mit einem ausgedehnten steuerlichen Verlustrücktrag, besseren Abschreibungsbedingungen, vereinfachten Restrukturierungsverfahren, Aufträge durch handlungsfähige Kommunen, die wir durch eine abgestimmte Kulturförderpolitik stärken wollen.

Wir wollen ein unbürokratisches Gründungskapital einführen, verbunden mit einer zentralen Anlaufstelle für Information, Beratung und Anmeldung. Wir planen eine staatlichen Wagniskapitalfonds nur für Frauen und die Förderung der gemeinwohlorientierten Entwicklung digitaler Lösungen.

Die energieintensiven Industrien wollen wir zum Technologievorreiter bei der Entwicklung klimaneutraler Prozesse machen. Der Maschinenbau kann beim weltweiten Einsatz grüner Technologien „Made in Germany“ eine Schlüsselrolle einnehmen.

Wir unterstützen die Automobilindustrie bei Forschung und Innovation. Wir wollen Europa zum Weltmarktführer einer ökologischen Batteriezellenproduktion machen, zu der ein wirksames Recyclingsystem gehört sowie die Entwicklung der nächsten Batteriegeneration.

Die europäische Halbleiterindustrie ist mit Investitionen zu fördern, so dass 20 Prozent der weltweiten Produktion in Europa stattfindet, wie es auch die EU-Kommission vorgeschlagen hat.

Wir wollen mehr grüne Jobs vor Ort in einer neuen europäischen Reparatur- und Recyclingindustrie schaffen. Bis 2030 werden dazu alle im Markt neuen Güter und Materialien mit einem digitalen Produktpass ausstatten, der alle für die Kreislaufwirtschaft nötigen Informationen enthält.

Forschungsergebnisse wollen wir mit einer neuen Gründungskultur in die Praxis bringen.

Frauen wollen wir dort, wo sie unterrepräsentiert sind, gezielt fördern. Bei einer Neubesetzung sollte mindestens ein Drittel der Vorstandssitze größerer und börsennotierter Unternehmen an Frauen gehen, Aufsichtsräte sollen einen Frauenanteil von 40 Prozent anstreben.

Wir bekämpfen den Fachkräftemangel. Dazu gehören ein kostenfreier Meisterbrief, der Abbau von Hürden bei der Ausbildung u.a. für Menschen mit Behinderungen, Jugendliche aus einkommensschwachen Elternhäusern, eine schnellere Anerkennung ausländischer Bildungs- und Berufsabschlüsse sowie erweiterte Chancen für Geflüchtete und Einwander*innen.

Wir fördern die KMUs (kleine und mittlere Unternehmen), den Mittelstand, bei Innovation und Transformation. Dazu gehören auch passgenaue Beratungen für Digitalisierung und Klimaschutz. Unter anderem durch Senkung der EEG-Umlage, Bürokratieabbau, mehr Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Ausbildung unterstützen wir das Handwerk.

Wir schneiden Förderprogramme gezielt auch die Kultur- und Kreativwirtschaft zu, die 2019 einen höheren Umsatz erzielte als zum Beispiel die chemische Industrie oder Finanzdienstleister.

Nachhaltigen oder sanften Tourismus wollen wir gerade in ländlichen Regionen gezielt entwickeln. Mit einem Jedermannsrecht in öffentlichen Gebieten wollen wir Natur für alle erlebbar machen. Die Bahn soll zum Tourismus-Reisemittel Nr. 1 werden.

 

WIR GEBEN DEM MARKT EINEN SOZIAL-ÖKOLOGISCHEN RAHMEN

Unser Ziel ist eine Gründungswelle von Genossenschaften und sozial-ökologisch inspirierten Unternehmen, weil sie gesellschaftliche Anliegen mit unternehmerischem Handeln verbinden.

Wir unterstützen die Einführung einer neuen Rechtsform für Unternehmen im Sinne eines Verantwortungseigentums. Damit dient der Zweck eines Unternehmens nicht mehr dem Shareholder-Value, sondern langfristig dem Sinn und Zweck des Unternehmens. Gewinne werden reinvestiert oder gespendet.

WIR BRINGEN DIE DIGITALISIERUNG VORAN

Wir unterstützen klare gesetzliche Spielregeln für kooperative Datenpools und Datentreuhandmodelle, eigene europäische Standards und Regeln und eine gemeinsame europäische Cloud-Infrastruktur.

Um im internationalen Wettbewerb mithalten zu können, brauchen wir eine starke europäische Vernetzung von Spitzenforschung. Das heißt auch, für Spitzenwissenschaftler*innen Spitzengehälter zu bezahlen.

Wir brauchen einen staatlichen Wagniskapitalfonds, der nachhaltige Leuchtturmprojekte finanziert, insbesondere in Bereichen wie Greentech, KI, nachhaltige Mobilität oder Life Sciences, die aufgrund ihrer Komplexität keine einfache Finanzierung am Markt bekommen.

Wir wollen einen funktionierenden, fairen Wettbewerb auf digitalen Märkten, der nicht durch die Macht der Internetgiganten eingeschränkt ist. Dazu wollen wir eine europäische Digitalaufsicht etablieren, die Kooperations- und Transparenzpflichten aussprechen kann. Außerdem werden wir eine Strategie „Frauen in der Digitalisierung“ vorlegen.

Wir wollen Transparenz, Überprüfbarkeit und Grenzen, damit algorithmische Entscheidungssysteme nicht diskriminierend wirken. Plattformanbieter müssen automatisierte Entscheidungen, Vergleiche oder Preise transparent machen und erklären können.

Wir setzen Anreize für beste IT-Sicherheit durch unabhängige Auditierungen und Zertifizierungen und unterstützen vor allem die KMUs sehr viel stärker durch ein dezentrales, unabhängiges IT-Beratungsnetzwerk.

 

WIR KÄMPFEN FÜR EINEN FAIREN UND NACHHALTIGEN HANDEL

Wir wollen einen multilateralen Welthandel und Handelsabkommen, die dem Wohlstand aller Menschen dienen, Umwelt- und Klimaschutz einfordern und die Beziehungen mit unseren Partnern im Einsatz für Demokratie und Freiheit stärken. Umweltschädliche Abkommen wie Mercosur lehnen wir ab. Handelsabkommen sollten nicht nur Rechte für Unternehmen regeln, sondern auch deren Pflichten. Deshalb setzen wir uns für einen multilateralen Handelsgerichtshof bei den Vereinten Nationen ein. Klageprivilegien für ausländische Investoren lehnen wir ab.

Dumping- und Anti-Subventionsinstrumente müssen weiterentwickelt werden, sie müssen stärker als bisher auch bei Dumping durch niedrige ökologische und soziale Standards anwendbar sein oder gegen den wettbewerbsverzerrenden Charakter von Subventionen ausländischer Regierungen für aufgekaufte europäische Unternehmen und deren Produktionen in Europa.

Es braucht dringend eine gerechte Handelspolitik mit den Ländern des globalen Südens, die regionale Wertschöpfung, regionalen Handel und Integration fördert und ihnen genügend Zeit lässt, durch Zölle und Quoten ihre Märkte zu schützen sowie durch Exportsteuern die Ausfuhr heimischer Rohstoffe zu beschränken.

Es braucht ein verbindliches und wirksames Lieferkettengesetz auf nationaler wie europäischer Ebene. Auf EU-Ebene werden wir uns für einen Importstopp für Agrarprodukte einsetzen, die im Zusammenhang mit illegaler Entwaldung und Menschenrechtsverletzungen wie Vertreibung stehen. Wir wollen die EU-Holzhandelsverordnung stärken und Strategien zur Reduktion von Palmöl und Soja in Deutschland voranbringen.

 

WIR MACHEN DIE FINANZMÄRKTE STABILER UND NACHHALTIGER

Alle Anlagen, nicht nur grüne, müssen eine Nachhaltigkeitsbewertung haben, die für alle Anleger*innen transparent sind. Dabei sind neben Klimazielen auch Umwelteinwirkungen, Menschenrechte, Arbeitsnormen und Entwicklungsziele zu berücksichtigen. Für besonders nachhaltige Finanzprodukte wollen wir ein EU-Label schaffen.

Wirtschaftsprüfungsgesellschaften müssen wirksam staatlich beaufsichtigt werden. Die Vergütung von Vorständen muss sich am langfristigen Unternehmenserfolg orientieren statt am kurzfristigen Börsenkurs. Wir wollen eine Finanzpolizei mit umfassenden Prüfungsrechten schaffen, die Informationen mit allen zuständigen Behörden im In- und Ausland austauscht.

Banken sollen nicht spekulieren, sondern die Realwirtschaft finanzieren. Das riskante Investmentgeschäft muss vom Einlagen- und Kreditgeschäft getrennt werden. Spekulation und Kurzfristorientierung werden wir u.a. durch eine europäische Finanztransaktionssteuer mit breiter Bemessungsgrundlage unattraktiv machen.

Unser Land ist derzeit ein Paradies für Geldwäsche, besonders im Immobiliensektor. Wir werden mit einer umfassenden Strategie gegen Geldwäsche vorgehen.

Eine Aushöhlung des Geld- und Währungsmonopols durch private Währungen lehnen wir ab. Zur Bekämpfung von Verbrechen braucht es auch für den Bereich des digitalen Bezahlens klare Regeln. Wir wollen, dass die EZB einen digitalen Euro schafft, als Ergänzung zum Bargeld.

 

WIR VOLLENDEN DIE EUROPÄISCHE WIRTSCHAFTS- UND WÄHRUNGSUNION

Wir weiten den EU-Haushalt deutlich aus und statten ihn mit eigenen Einnahmen aus, zum Beispiel aus dem CO2-Grenzausgleich, aus der Besteuerung von Plastik, Digitalkonzernen und Finanztransaktionen. Den Wiederaufbaufonds verstetigen wir und nutzen ihn, zum Beispiel für gemeinsame europäische Energienetze oder ein Schnellbahnnetz.

Die Konservativen haben jahrzehntelag eine eigene Fiskalpolitik Europas verhindert. Die EU braucht ein Instrument für eine eigene Fiskalpolitik, das den gemeinsamen europäischen Institutionen untersteht. Wir stehen zur EZB und befürworten ein breiteres Mandat, das ihr erlaubt, gleichberechtigt zur Preisstabilität auch Wohlstandsmehrung und hohe Beschäftigung anzustreben. Der Euro soll langfristig seinen Platz in einem kooperativen globalen Weltwährungssystem finden. Er ist ein wesentlicher Baustein einer umfassenden Strategie, die europäische Werte auf der globalen Ebene stärkt und durchsetzt.

 

WIR HAUSHALTEN SOLIDE, WEITSICHTIG UND GERECHT

Wir beenden die umweltschädlichen Subventionen. Wir werden sorgsam mit dem Geld der Steuerzahler*innen umgehen. Infrastrukturprojekte wird die öffentliche Hand wieder selbst finanzieren und so auf ÖPP-Projekte (Öffentlich-Private-Partnership) verzichten, im Straßenverkehr sind sie gesetzlich auszuschließen.

Die Schuldenbremse im Grundgesetz muss zeitgemäß gestaltet werden, um dringende Investitionen zu ermöglichen. Für konsumtive Ausgaben bleibt es bei den derzeitigen strikten Regelungen. Die kluge Unternehmerin spart nicht, sie investiert. Der kluge Staat tut es ihr gleich.

Wir schaffen mehr Steuergerechtigkeit. Der Grundfreibetrag wird angehoben, um kleine und mittlere Einkommen zu entlasten. Den Spitzensteuersatz wollen wir moderat anheben, auf 45 Prozent ab einem zu versteuernden Einkommen von 100.000 bzw. 200.000 Euro für Alleinstehende bzw. Paare und 48 Prozent bei 250.000 bzw. 500.000 Euro. Kapitalerträge sind wieder progressiv zu besteuern, für Vermögen oberhalb von 2 Millionen Euro pro Person soll eine Vermögensteuer von jährlich 1 Prozent gelten. Dabei ist die besondere Rolle und Verantwortung von mittelständischen und Familienunternehmen zu berücksichtigen.

Steuerhinterziehung ahnden wir härter, rein steuerlich motivierte Wohnsitzwechsel sind durch eine Steuerpflicht nach der Nationalität zu verhindern, die Umgehung der Grunderwerbssteuer durch Share-Deals muss unterbunden werden, Cum-ex- und Cum-cum-Geschäfte wollen wir so weit wie möglich verhindern.

Wir wollen, dass Konzerne ihre Gewinne, Umsätze und Steuerzahlungen nach Ländern öffentlich machen müssen, und setzen uns für ein solches Reporting auf europäischer Ebene ein. In Europa führen wir eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für Unternehmenssteuern und einen Mindeststeuersatz von mittelfristig 25 Prozent ohne Ausnahmen ein und besteuern die Internetriesen mit einer Digitalsteuer. Soweit europäische Einigungen nicht gelingen, gehen wir voran, in verstärkter Zusammenarbeit oder gemeinsam mit einzelnen Staaten.