Warum steigt die Temperatur bei uns deutlich stärker als im globalen Durchschnitt?

Das 1,5-Grad-Ziel ist wieder im Gespräch, auch wegen der Klimakonferenz in Dubai. Die Physikerin und Philosophin Friederike Otto sagt, wir brauchen ein positives Narrativ, um diesen Wert noch zu erreichen. Statt die Menschen mit Katastrophenszenarien zu nerven (was uns hier zugegeben schwerfällt) müssen wir ihnen also erklären: „Was wird gut für dich, wenn wir jetzt das Klima schützen?“

Das ist wahrscheinlich ein guter Ansatz, doch eine Frage wird bei uns meistens außer Acht gelassen: Was bedeuten 1,5 °C für uns in Deutschland?

Deutlich mehr als 1,5 Grad Temperaturanstieg. Die Erhöhung der globalen Mitteltemperatur ist nicht gleichzusetzen mit einer gleich starken Erwärmung in der eigenen Region. Über den großen Landmassen steigen die Temperaturen nämlich deutlich stärker als im globalen Mittel. Über den Meeren hingegen erhitzt sich die Luft weniger stark. Weil es auf der Nordhalbkugel viel mehr Landfläche gibt als auf der Südhalbkugel, steigen die Temperaturen im Norden stärker als im Süden, auch über dem Meer. Und rings um die Antarktis verlaufen ozeanische und atmosphärische Strömungen, die dafür sorgen, dass sich die Antarktis nicht so stark erwärmt wie etwa die Arktis. Damit bleibt der durchschnittliche Temperaturanstieg auf der Südhalbkugel gegenüber der Nordhälfte niedriger, als es der Landmasseneffekt allein bewirken würde.

Und noch etwas passiert: Aufgrund der höheren Temperaturen schmilzt in der Arktis ein großer Teil der Eismassen. Dadurch wird weniger Sonnenlicht reflektiert und die darunter auftauchende Land- und Meeresfläche absorbiert mehr Sonnenlicht; das beschleunigt die Erwärmung zusätzlich. Diese „arktische Verstärkung“ sorgt dafür, dass die Temperaturen dort bisher drei- oder viermal so stark gestiegen sind wie im globalen Schnitt. Ein ähnlicher Effekt findet in Gebirgsregionen statt, zum Beispiel in den Alpen oder in Tibet.

Weit davon entfernt sind wir hier nicht: Wir wissen, dass sich Bayreuth oder Bamberg doppelt bis dreimal so schnell aufheizen wie der Rest der Welt. Das gilt dann auch für Bubenreuth. Rechnet man das hoch, ergibt sich beim Erreichen des 1,5-Grad-Ziels (ausgehend von der mittleren globalen Temperatur zwischen 1850 und 1900) bis Ende des Jahrhunderts ein Temperaturanstieg von 3 bis 4,5 °C.

Wenn wir global nur die 2,8 bis 3,0 °C schaffen, von denen derzeit die Rede ist, liegen wir irgendwo zwischen 4,5 und an die 9 °C. Je nachdem, ob die Temperatur bei uns von jetzt an mit der gleichen Intensität steigt wie im weltweiten Durchschnitt oder wie bisher doppelt bis dreimal so schnell.

Verglichen mit einer anderen Referenzperiode (1951 bis 1980) war es 2022 über dem Land im globalen Durchschnitt etwa 1,3 Grad wärmer, über den Ozeanen „nur“ 0,6 °C, im globalen Schnitt 0,9 °C. In Deutschland waren es fette 2,3 °C.

Eine andere Statistik vergleicht den Temperaturanstieg so ziemlich aller Länder auf der Welt seit 1993. Mit 0,58 °C ist in Europa Irland am geringsten betroffen. Weltweit weisen nur drei Länder einen geringeren Temperaturanstieg auf als Irland. Deutschland liegt mit 1,42 °C weit darüber. Noch mehr erwischt es vor allem die Ostalpen und Länder Osteuropas, am schlimmsten den weltweiten Spitzenreiter Ukraine mit 2,07 °C. Als würde das Land nicht schon genug leiden.

Fazit:
Deutschland gehört zu den temperaturmäßig stärker von der Erderwärmung betroffenen Regionen – umso mehr müssen wir uns engagieren und Vorreiter in Sachen Klimaschutz werden. Das rechtfertigt eigentlich auch Sondervermögen, spricht gegen Versiegelung, für Renaturierung, für umweltfreundliche Mobilität und Lebensmittelproduktion, nachhaltiges Heizen und Bauen und für eine Kultur nachhaltiger Entscheidungen auf allen politischen Ebenen.

Weitere Quellen: National Geographic, BR Faktenfuchs

Gerhard Seitfudem