Was das EU-Wahlergebnis für uns Grüne bedeutet

Die EU-weite Wahlbeteiligung lag bei 50,93%, fast unverändert gegenüber 2019 (https://results.elections.europa.eu/de/). Wie die Wahlbeteiligung in den einzelnen Ländern war, seht ihr in der Grafik. Lasst das einfach kurz auf euch wirken, vielleicht mit Schwerpunkten Belgien/Luxemburg, Ungarn, Kroatien und Baltikum.

Im Prinzip haben EVP, S&D und Renew mit über 400 Abgeordneten eine satte Mehrheit. Da es aber keinen Fraktionszwang gibt und viele Angeordnete tatsächlich frei abstimmen, brauchen sie Partner. Ob sie sich dabei eher Richtung EKR orientieren oder in Richtung Grüne/EFA, ist noch offen; der Trend geht aber nach rechts.

Vor allem sind es Populismus, Aufgreifen von Ängsten und charismatische Personen (Marine le Pen, Giorgia Meloni, Victor Orban, Sarah Wagenknecht), die den bei dieser Wahl erfolgreichen Parteien Prozente beschert haben. Wer im Wahlkampf „Mehr Demokratie“ gefordert hat, hat damit kaum Wähler*innen gewonnen; diese Plakate waren rausgeworfenes Geld. In Deutschland war diese Forderung „austauschbar“ unter fast allen Parteien.

Trotz des Ergebnisses: Vielleicht haben wir Grüne inhaltlich vor der Wahl nicht viel falsch gemacht und die richtigen Themen richtig besetzt, aber der Zeitgeist, der uns vor 5 Jahren mit Unterstützung von FFF ein hervorragendes Wahlergebnis in der EU-Wahl gebracht hat, war gegen uns. Nur 14 Prozent der Deutschen sagten 2024, dass für sie Klima- und Umweltschutz die entscheidende Rolle bei der Wahl spiele, 2019 waren es 23 Prozent. Diese prozentuale Veränderung (14/23 = 0,6) repräsentiert annähernd den Rückgang der grünen Stimmen von 20,5 auf 11,9 Prozent (11,9/20,5 = 0,6). Wohin unsere und alle anderen Wähler*innen gewandert sind und woher sie kamen, findet ihr bei der Tagesschau.

Es ist vor allem dieser irrlichternde Zeitgeist, der uns motivieren muss, uns weiter für unsere Ziele einzusetzen. Denn die von uns Grünen benannten Probleme bleiben, und werden immer drängender: Wir brauchen eine bessere Umwelt- und Energiepolitik, andere Mobilitätskonzepte, eine ökologisch orientierte Agrarpolitik und die Unterstützung der Länder im globalen Süden. Bildung, Migration und Humanität, Wirtschaft, Digitales, Soziales, internationale Zusammenarbeit, Rüstung und Frieden, Finanzen, Gesundheit und Bürokratieabbau dürfen wir dabei nicht aus den Augen verlieren. Alles ist wichtig.

Wenn Europa, wie zu befürchten ist und wie es das Stimmverhalten beim Renaturierungsgesetz bestätigt, mit den veränderten Mehrheiten für mindestens fünf Jahre weiter nach rechts rückt, sind vor allem unser Sachverstand und unsere Überzeugungskraft gefragt; schließlich orientieren wir uns nicht an der Erhaltung des Status quo. Dabei kann uns Hoffnung machen, dass die EU mit Initiativen wie Green Deal, Renaturierungsgesetz, Lieferkettengesetz oder Mindestlohn beweist, dass sie, kaum wahrgenommen von der Masse der Wähler*innen, deutlich progressiver sein kann als ihre Mitgliedsländer.

Eines sollten wir auf jeden Fall lernen aus dieser Wahl. Wir müssen deutlicher auftreten, klarer machen, was unsere Kernanliegen sind. Dass man damit Erfolg haben kann, zeigt uns Volt, mit satten 2,6 Prozent in Deutschland. Obwohl Volt liberaler orientiert ist als wir Grüne, waren Grüne und Volt im Wahl-O-Mat fast austauschbar. Aber die Plakate von Volt waren definitiv besser.

Gerhard Seitfudem