Attributions- oder Zuordnungsforschung ist ein Teilgebiet der Klimaforschung, der immer mehr an Bedeutung gewinnt. Darin geht es um die Beiträge verschiedener Faktoren zu einer Klimaveränderung oder einem Klima- oder Extremwetterereignis. Bei ausreichendem Datenmaterial und der Möglichkeit, das auftretende Phänomen rechnerisch zu simulieren, lässt sich damit zeigen, ob bzw. mit welcher Wahrscheinlichkeit dieses durch den menschengemachten Klimawandel verursacht ist. Außerdem lassen sich mit den Methoden der Attributionsforschung Wahrscheinlichkeiten für mögliche Wetterereignisse berechnen, zum Beispiel: Wie viele Hitzetage werden wo in Zukunft auftreten? Wo wird es besonders starke Trockenperioden geben, wo extreme Regenfälle? Die Ergebnisse dieser Simulationen dienen als Grundlage für Planungen und Notfallkonzepte, wie etwa: Wo sind Maßnahmen vorzusehen, um Hitzetote zu vermeiden? Wo brauchen wir mehr Überschwemmungsschutz? Wo müssen Straßen und Bahnlinien für höhere Temperaturen ausgelegt werden?
Auch bei künftigen Klagen gegen Staaten oder Unternehmen bezüglich deren Unterlassungen zum Klimaschutz werden die Ergebnisse der Attributionsforschung wahrscheinlich eine zunehmende Rolle spielen.
Bei der Attributionsforschung geht es nicht nur um kontinuierliche Veränderungen, man beschäftigt sich auch mit nichtlinearen Effekten. Wo gibt es „Tipping Points“, Kippschalter, deren Aktivierungen vielleicht unumkehrbare Veränderungen verursachen (vgl. DER SPIEGEL Nr. 32/2021) – oder vielleicht sogar aufeinander folgende Kippkaskaden? Große solche Kippschalter könnten zum Beispiel sein: tauende Permafrostböden in Sibirien, der verschwindende Regenwald im Amazonasgebiet, die sterbenden Korallenriffe, der Eisschild auf Grönland oder das Eis im Nordpolarmeer. Wenn dieses schmilzt, absorbiert das Wasser mehr Strahlung von der Sonne und das Wasser heizt sich umso schneller auf, eine schwierig abzuschätzende Beschleunigung.
Während die im obersten Absatz beschriebenen Phänomene unbestritten und mit Klimamodellen weitgehend simulierbar sind, sind die Wirkungen der Tipping Points noch umstritten, da sie mit Computermodellen bisher kaum verifiziert werden können. Doch auch die früheren Eiszeiten lassen sich mit Computermodellen nicht rekonstruieren. Das zeigt vielleicht, dass diese Modelle noch zu stabil sind, um die Realität gut genug abzubilden. Trotzdem: Selbst diejenigen Wissenschaftler, die die extreme Wirkung der Tipping Points bezweifeln, sind der Meinung, dass der Klimawandel auch ohne solche Kippschalter schlimm genug ist.
Wie lange es dauert, bis der Eispanzer Grönlands geschmolzen ist, ist noch nicht klar. Eine Schätzung, wie stark allein dessen Rückgang in diesem Jahrhundert den Meeresspiegel ansteigen lässt, beläuft sich auf 18 Zentimeter. Das ist quasi „relativ einfach“ zu berechnen, denn Sonneneinstrahlung, Reflektion, Absorption, Temperaturen, Volumen, Dichte, Eis, Wasser, das ist reine Physik. Für den Regenwald in Südamerika wird das Rechnen deutlich komplizierter, denn da kommt auch die Biologie ins Spiel.
Gerhard Seitfudem