Was wurde erreicht? Dezember 2022: Die 15. UN-Biodiversitätskonferenz (COP 15) in Montreal

Biosphere in Montreal. Mehr äußerer Schein als innere Werte

Nach der Weltklimakonferenz fand im Dezember letzten Jahres die Biodiversitätskonferenz statt. Geht es, grob formuliert, beim Klimaschutz darum, wie wir überleben, dann bei der Biodiversität darum, ob das überhaupt möglich ist. Trotzdem ist das Thema „Biodiversität“ noch nicht so intensiv in unseren Köpfen – oder wenn überhaupt, dann nicht selten auf Bienen-, Eisbär-, Plastiktüten- und -flaschenniveau. Da es um viel mehr geht, ist es erfreulich, dass sich in Montreal – wo die Konferenz stellvertretend für das chinesische Kunming ausgerichtet wurde – offensichtlich mehr bewegt hat als in Ägypten. Und, ganz wichtig: Das Thema wurde endlich prominent in den Medien aufgenommen!

Die etwa 200 Teilnehmernationen haben In Montreal auf der Grundlage der 1992 in Rio verabschiedeten „Convention on Biological Diversity (CBD)“ 4 Goals (Ziele) und 23 Targets (Unterziele) beschlossen. Die Goals sehen, kurzgefasst, folgendes vor:

A            Integrität, Konnektivität und Resilienz aller Ökosysteme werden gefördert und ihre Flächen bis 2050 substanziell erweitert. Die Auslöschung der Arten wird auf ein Zehntel reduziert, wildlebende Arten sind dann auf resilientem Niveau. Die genetische Diversität innerhalb wilder und domestizierter Arten wird erhalten.

B            Biodiversität wird 2050 nachhaltig genutzt und gemanagt, zum Nutzen heutiger und künftiger Generationen.

C            Monetärer und nichtmonetärer Nutzen aus der Ausbeutung genetischer Ressourcen und traditionelles Wissen darüber werden solchermaßen fair geteilt, wie es für indigene Gruppen und lokale Gemeinschaften notwendig ist, und bis 2050 erhöht. Traditionelles Wissen zu genetischen Ressourcen wird ausreichend geschützt.

D            Mittel zur Umsetzung der Ziele von Montreal (Geld, Kapazitäten, technische und wissenschaftliche Zusammenarbeit, Technologietransfer) werden sichergestellt und allen Parteien zugänglich gemacht, insbesondere den am wenigsten entwickelten Ländern, wenig entwickelten kleinen Inselstaaten und Ländern im ökonomischen Übergang. Dabei wird nach und nach die „Biodiversitätsfinanzlücke” von 700 Milliarden Euro im Jahr geschlossen.

Zwar sind die vereinbarten Ziele stark und gut, aber sie sind nicht verbindlich genug und sie produzieren wenig Druck auf die Verursacher der Biodiversitätskrise, weder im Bereich Land- und Forstwirtschaft, noch in der Wirtschaft oder im Finanzwesen. Deshalb braucht es ambitionierte Staaten, welche die Ziele rasch umsetzen und gemeinsam mit anderen nicht nur das unbedingt Vorgeschriebene tun. Das ist auch die Position unserer Umweltministerin Steffi Lemke.

  • Ein messbares, starkes Ziel ist, dass mindestens 30 Prozent der geschädigten Ökosysteme an Land und Meer wiederhergestellt werden. Dabei soll unter anderem berücksichtigt werden, dass miteinander vernetzte Gebiete entstehen. Das muss mit hochwertigen Maßnahmen schnell umgesetzt werden, in möglichst vielen Ländern. Die 30 Prozent beziehen sich auf alle Flächen an Land und im Meer, inklusive Süßwasser und Küsten. Hervorgehoben werden Gebiete mit besonderer Bedeutung für die Biodiversität. Diese sollen effektiv geschützt, betreut und gut miteinander verbunden sein.
    Flächen außerhalb von Schutzgebieten, die eine langfristige Erhaltung der Biodiversität schaffen, wie zum Beispiel Feuchtgebiete, dürfen dazu zählen. Eine nachhaltige Nutzung dieser Flächen ist erlaubt, muss aber konsistent mit den Schutzzielen sein.
    In Deutschland ist ein wichtiger Beitrag dazu das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz, das mit 4 Milliarden Euro Renaturierungsprojekte fördern soll.
  • Zu Nährstoffeinträgen und Risiken durch Pestizide gingen die Meinungen in den Verhandlungen sehr weit auseinander. Viele Länder wollten keine konkreten Reduktionszahlen. Wenigstens konnte man sich darauf einigen, im Ziel die drei weltweit größten Verschmutzungsquellen zu benennen: Pestizide, Nährstoffeinträge (also Dünger) und Plastik.
    Man einigte sich, schädliche Wirkungen und Umweltrisiken durch den Einsatz von Pestiziden und Dünger um die Hälfte zu reduzieren. Das hört sich vielleicht ganz gut an, aber es lässt sich kaum messen und es gibt auch noch keine brauchbare globale Messvorschrift dazu. Trotzdem ist dieses Ziel stärker ausformuliert als von vielen erwartet; hier spielten insbesondere die Verhandler*innen der EU und der Bundesumweltministerin eine starke Rolle. Nun ist sicherzustellen, dass zuverlässige Messungen erfolgen können und in der EU mit der Pestizid-Richtlinie ein rechtlicher Rahmen vorgegeben wird.
  • Der größte Treiber der Biodiversitätskrise ist die Ausweitung, Intensivierung und Monotonisierung der Landwirtschaft und Entwaldung. Trotzdem haben nur wenige Länder Interesse an der Formulierung von klaren Zielen für eine naturverträgliche Land- und Forstwirtschaft. Entsprechend schwach und ohne konkrete Zahl fiel das Ergebnis in diesem Bereich aus. Darin finden sich zwar die Begriffe „biodiversitätsfreundliche Praktiken“ und „agrarökologische Methoden“, allerdings im Zusammenhang mit nachhaltiger Intensivierung, nachhaltiger Nutzung und Produktivitätssteigerungen, die Einfallstore für Greenwashing in diesem Bereich eröffnen. Entsprechend wichtig ist es – auch für Deutschland – in diesem Bereich weitergehender zu handeln als vereinbart.
  • Ein weiteres, sehr allgemein formuliertes Ziel betrifft die Ausrichtung von öffentlichen und privaten Aktivitäten, auch Steuer- und Finanzflüssen, an den Biodiversitätszielen. Biodiversität ist sektorübergreifend in Politik und Gesetze aufzunehmen. Das kann helfen, innerhalb der einzelnen Länder etwas voranzutreiben.
  • Unternehmen sollen künftig entlang ihrer Liefer- und Wertschöpfungsketten Bericht über deren Auswirkungen auf die Biodiversität erstatten. Leider ist dies nicht als verpflichtend vorgesehen, Obwohl dies viele Unternehmen befürwortet hätten. Das hätte auch gleiche Wettbewerbsbedingungen bedeutet.
  • Bis 2025 wollen die einzelnen Länder Anreize und Subventionen mit negativer Auswirkung auf die Biodiversität identifizieren und bis 2030 beenden oder die Mittel anders einsetzen. Ziel bis 2030 ist eine Reduktion von mindestens 500 Milliarden US Dollar pro Jahr. Zudem sind die Anreize für die Biodiversität zu erhöhen.
  • Zur Finanzierung soll ein schnell wirksamer Fonds eingerichtet werden. Außerdem sollen bis 2025 jährlich 20 Milliarden US-Dollar in den globalen Süden fließen, bis 2030 dann 30 Milliarden USD pro Jahr. Derzeit sind aber nur 8 Milliarden USD gesichert.
  • Bis 2030 sollen insgesamt in allen beteiligten Staaten 200 Milliarden US-Dollar pro Jahr für die Biodiversität mobilisiert werden, inklusive der oben genannten Ausgleichszahlungen.
  • Unterstützt werden die ganzen Maßnahmen dadurch, dass die einzelnen Staaten den Schutz der Biodiversität durch gesetzliche Vorgaben, politische Handlungen und Bildung im Bewusstsein von Unternehmen und Bevölkerung verankern wollen.

Positiv ist zu vermerken, dass in Montreal die Rolle der indigenen Bevölkerungen und lokaler Gemeinschaften wahrgenommen wurden, da ihre Lebensräume zu den artenreichsten Gebieten der Welt gehören.

Ende 2024 findet in der Türkei die COP 16 statt. Bis dahin sollen die nationalen Biodiversitätsstrategien und Aktionspläne ausformuliert sein, 2026 die nationalen Berichte, als Grundlage für eine globale Bestandaufnahme. Viel Druck in diese Richtung besteht aber nicht – schließlich gibt es keine konkreten, verbindlichen Vereinbarungen; messbare Ziele sind ebenfalls noch nicht beschlossen. Alle Länder (und als größere Einheit die EU, die seit 2020 eine Biodiversitätsstrategie hat, sich mit der Umsetzung aber schwertut) müssen von sich aus in allen relevanten Bereichen ihre bisherigen Strategien auf die neuen Ziele anpassen und handeln. Dazu gehört es, nationale und internationale Schutzgebiete festzulegen (da könnten CSU und FW sofort mit dem Ende der Blockade gegen den Steigerwald anfangen, aber stattdessen wollen sie laut einem NN-Artikel vom 8.2.23 mit einem aktuellen Antrag im Landtag erreichen, dass nicht mehr als 10 Prozent des Bayerischen Staatswaldes zu naturnahen Wäldern werden, und sich auch auf Bundesebene und in der EU gegen weitere dauerhafte Nutzungsbeschränkungen einsetzen) – an Land und im Bereich internationaler Gewässer auf dem Meer, wofür es leider schwierig abzuschließende internationale Abkommen braucht. Gleichzeitig können Deutschland und andere reiche Länder den globalen Süden ab sofort mit Geld, Experten und Know-how unterstützen. Entsprechend unzufrieden sind Organisationen wie der Bund Naturschutz (NABU) oder Greenpeace. Greenpeace kritisiert ganz konkret, dass die in Montreal beschlossenen Ziele industrielle Fischerei oder Holzeinschläge in Schutzgebieten nicht prinzipiell ausschließen. Auch Sanktionen sind nicht möglich, wenn einzelne Länder nichts oder zu wenig tun. Auch der WWF ist mit vielen Ergebnissen und vor allem Nicht-Ergebnissen nicht einverstanden, zum Beispiel zur Nutzung von Ökosystemen außerhalb von Schutzgebieten. Schließlich müssen wir alle noch intakten Ökosysteme erhalten und nicht nur die innerhalb von Schutzgebieten. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die fehlende Priorisierung von Gebieten, die besonders wertvoll für die biologische Vielfalt unseres Planeten sind. Auch wurde in Montreal nicht konkret benannt, was denn die Treiber des Artensterbens sind.

Jeder Staat soll eine nationale Biodiversitätsstrategie entwickeln bzw. bereits vorhandene Strategien überarbeiten. Die deutsche Nationale Biodiversitätsstrategie NBS soll neu aufgelegt werden und die Kommunen intensiver einbinden. Denn in den Kommunen wird letztendlich entschieden, wie und wofür Flächen genutzt werden. Da reicht dann die COP 15 zum Beispiel bis zu den Posteläckern.

Almut Arneth, Ökosystemforscherin am Institut für Meteorologie und Klimaforschung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), sagt: „Ich bin leider nicht sehr optimistisch, dass die Menschheit sich bei Biodiversität und Ökosystemen besser schlagen wird als beim Klimawandel. Vergessen wir nicht, im Jahr 2022, sieben Jahre nach dem Pariser Klimaabkommen, steigen die CO2- und Treibhausgasemissionen munter weiter an!“ Arneth verweist auch insbesondere auf die Notwendigkeit des Abbaus klimaschädlicher Subventionen in der Landwirtschaft.

Wir haben es hier mit einer Wechselwirkung zu tun: Der Klimawandel wirkt dem Erreichen der Biodiversitätsziele entgegen – und sorgen wir nicht für intakte Ökosysteme, schadet dies wiederum den Klimazielen.

Ich hoffe, ich habe euch nicht frustriert! Leider sind Klimakrise und Artensterben Realität, und nur wenn wir Druck auf die richtigen Politiker ausüben, können wir viel erreichen. Es hilft nichts, uns Grünen vorzuhalten, dass wir zu wenig bewirken, denn politische Entscheidungen spiegeln fast immer die Mehrheiten wider, die wir durch unser Wählerverhalten erzeugen.

Gerhard Seitfudem

Quellen:
https://www.cbd.int/article/cop15-cbd-press-release-final-19dec2022
https://blogs.nabu.de/naturschaetze-retten/cop15-weltnaturabkommen_verabschiedet/
https://www.nabu.de/natur-und-landschaft/naturschutz/weltweit/globale-biodiversitaetspolitik/25413.html
https://www.helmholtz-klima.de/aktuelles/montreal-cop15-ergebnisse
https://www.wwf.de/themen-projekte/artenschutz/politische-instrumente/cbd-die-un-konvention