So wie wir mehr Landschaftsschutzgebiete brauchen, um Reservate für Biodiversivität zu schaffen, brauchen wir mehr Meeresschutzgebiete. Derzeit stehen 7,7 Prozent der Weltmeere unter Schutz, aber oft ist dieser Schutz mangelhaft. Denn in vielen dieser Bereiche sind Fischerei, Schiffsverkehr, Rohstoffabbau und andere Aktivitäten erlaubt. Auf der Hohen See ist sogar nur weniger als ein Prozent der Fläche geschützt.
Bis 2030 sollen laut EU-Biodiversitätsstrategie 30% der europäischen Meeresfläche unter Schutz stehen, 10% davon unter strengem Schutz. Das ist in Einklang mit dem Ziel der Vereinten Nationen, die ebenfalls den Schutz der Meere verstärken will. Wissenschaftler, besonders unterstützt von Greenpeace, fordern aber mehr. Mindestens 30 Prozent der Weltmeere sollen als großflächiges Netzwerk zu Schutzgebieten werden. Meeresschutzgebiete schützen Lebensräume und Arten und unterstützen die Erholung und Erhaltung der Meeresökosysteme sowie für das Klima wichtiger Ökosystemleistungen. Die Einführung eines internationalen rechtsverbindlichen Steuerungsinstruments, das den Schutz der Meere außerhalb der nationalen Gerichtsbarkeit gewährleistet, gäbe den Vereinten Nationen die Möglichkeit, Meeresschutzgebiete außerhalb nationaler Wirtschaftszonen einzurichten und zu verwalten.
Schutz der Hohen See
Die Hohe See beginnt 200 Seemeilen vor den Küsten. Laut Seerecht ist sie ein „gemeinsames Erbe der Menschheit“. Trotz globaler Abkommen zur Nutzung der Bodenschätze und regionaler Fischereiabkommen liegen hier die letzten planetaren Gebiete jenseits staatlicher Kontrolle, die Hochsee und die Tiefsee. Da das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen genügend Freiheit bietet und die Verwaltung mangelhaft funktioniert, beuten wenige, überwiegend reiche Nationen die Meere aus. Doch im Seerechtsübereinkommen festgelegte Pflichten werden oft ignoriert: nämlich die lebenden Ressourcen des Meeres zu erhalten und die Umwelt einschließlich seltener oder fragiler Lebensräume zu schützen und zu bewahren.
Folgen sind Überfischung, Aquakulturen, Öl- und Gasförderung, Sand- und Kiesabbau, Meereserwärmung und -versauerung durch die Klimakrise, Verschmutzung durch Plastikmüll, Düngemittel, radioaktive Stoffe und Gifte. Dem wird wohl auch der Abbau von Metallen und Seltenen Erden in der Tiefsee folgen.
Hier ist dringend ein wirksamer Meeresschutz gefordert, der alle Bedarfe berücksichtigt. Das von Wissenschaftlern und Greenpeace geforderte Schutzszenario basiert auf biologischen, ozeanografischen, biogeografischen und sozioökonomischen Daten sowie der Verteilung von Haien und Walen, Tiefseebergen und -gräben, hydrothermalen Quellen, ozeanischen Fronten, Tiefenwasser-Auftrieb, biogeografischen Zonen, Fischereidruck, Bergbau-Konzessionen und weiteren Faktoren.
Der Weltkongresses für Naturschutz von 2016 hat in einer Resolution gefordert, dass Schutzgebiets-Netzwerke „mindestens 30 Prozent jedes Lebensraums umfassen sollen“. Um dieses Ziel auf Hoher See zu erreichen, müssen zwischen 35 und 40 Prozent der Fläche der Hohen See zu Schutzgebieten werden.
Normalerweise werden Schutzgebiete als Reservate innerhalb von Landschaften oder Meeresregionen ausgewiesen. Die Schutzgebiete auf der Hohen See müssen umgekehrt angelegt sein: Die Schutzgebiete müssen miteinander verbunden sein, und darin sind von Menschen genutzte Regionen eingebettet. So dienen die Netzwerke auch dem Schutz von weit wandernden Arten. (Diese Art der Schutzgebiete muss sich übrigens auch an Land durchsetzen. Ein ganz kleiner Ansatz dazu sind Wildbrücken über große Straßen.)
Der Tiefseebergbau wird empfindliche Tiefsee-Ökosysteme schädigen. Großflächige Bereiche des Meeresbodens sind bereits für die Exploration von Mineralien zugelassen, viele davon in Gebieten mit hoher Biodiversität. Diese Gebiete müssen in die potentiellen Schutzgebiets-Netzwerke aufgenommen werden, damit Natur und Ökosystemfunktionen ausreichend kontrolliert werden können. Wichtig wäre ein einstweiliges Moratorium beim Tiefseebergbau, um die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern, während das Schutzgebiets-Netzwerk noch nicht existiert.
Was die Meere sonst noch brauchen
Neben der Einrichtung von Schutzgebieten geht es weltweit vor allem darum,
- dem Rohstoffabbau klare Grenzen zu setzen. So treiben gerade mehrere Länder, darunter Deutschland, Tests zum Abbau von Metallen und seltenen Erden in der Tiefsee voran.
- die Öl- und Gasförderung beenden.
- die Verschmutzung mit Plastik zu verhindern und die Meere zu reinigen.
- die systematische Überfischung und zerstörerische Fischereimethoden zu beenden.
- naturverträglich die Altmunition zu bergen, die an vielen Orten auf dem Meeresgrund liegt. Allein zwei Millionen Tonnen Kriegsaltlasten ticken als Zeitbomben am Grund von Nord- und Ostsee.
- Der Ausbau der Offshore-Windenergie muss nicht verboten werden, braucht aber klarere Regeln. In Meeresschutzgebieten dürfen keine weiteren Kraftwerke errichtet werden.
Das geplante Hochseeschutzabkommen der Vereinten Nationen
Die internationale Staatengemeinschaft hat sich prinzipiell darauf geeinigt, einen historischen Schritt zu gehen und ein Paket von Vereinbarungen zu treffen, unter anderem für umfassende Umweltverträglichkeitsprüfungen für Aktivitäten auf der Hohen See, den Kapazitätsaufbau im Bereich Management und Erhaltung, einen internationalen Vorteilsausgleich (was auch immer das genau sein mag) für die Nutzung genetischer Meeresressourcen sowie den Einsatz gebietsbezogener Managementinstrumente. Die UN-Konferenz muss zudem Mechanismen für den Schutz der Meere entwickeln, damit Länder ihre internationalen Verpflichtungen zum Schutz der Wildtiere der Hohen See, einschließlich der Tiefsee, einhalten. Weitere nötige Mechanismen betreffen die großen Lücken in den Bestimmungen des UN-Abkommens zum Erhalt der biologischen Vielfalt (CBD). Die UN-Biodiversitätskonvention soll zwar die wild lebenden Tiere der Welt schützen, aber fast die Hälfte der Erdoberfläche ist praktisch ungeschützt, weil die Länder die Bestimmungen nur auf eigenem Hoheitsgebiet oder Schiffen unter eigener Flagge anwenden können.
Die UN, die Weltbevölkerung muss es schaffen, dass Regierungen weltweit gemeinsam für die Benennung der Meeresschutzgebiete und für die Einführung konkreter Maßnahmen verantwortlich gemacht werden können. Das zukünftig verantwortliche Gremium unter dem Dach der Vereinten Nationen muss auf vorhandene globale und regionale Verwaltungsstrukturen sowie andere Interessenvertreter setzen.
Jedoch: Im März 2022 fand in New York die vierte Verhandlungsrunde der Vereinten Nationen für ein UN-Hochseeschutzabkommen statt. Diese Runde ist gescheitert. Länder wie Japan, Russland und Island sind weiterhin Gegner des Abkommens. Ende des Jahres findet die nächste Verhandlungsrunde statt. Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Krieg in der Ukraine auch in diesem Bereich weiter polarisiert – schließlich spekuliert Russland auf die zunehmend eisfreien Ressourcen der Arktis.
Gerhard Seitfudem
Quellen:
https://www.nabu.de/landingpages/btw2021.html
https://www.duh.de/themen/natur/lebendige-meere/meeresschutzgebiete/?tx_powermail_pi1%5Bhash%5D=1f94b58b6e&tx_powermail_pi1%5Bmail%5D=1234526&tx_powermail_pi1%5Baction%5D=optinConfirm&tx_powermail_pi1%5Bcontroller%5D=Form&cHash=72fa4dab624f9c626724e9f51cf40672
https://www.greenpeace.de/biodiversitaet/meere/meeresschutzhttps://www.greenpeace.ch/de/medienmitteilung/82887/schutz-der-meere-weiterhin-unklar-un-verhandlungen-zu-einem-globalen-hochseeschutzabkommen-gescheitert/
https://www.greenpeace.de/publikationen/s02421-201904040-greenpeace-report-30×30-meeresschutzgebiete-zusammenfassung.pdf
https://worldoceanreview.com/de/wor-7/die-verschmutzung-der-meere/ein-problem-gigantischen-ausmasses/munitionsbelastete-gebiete-im-meer-kampf-gegen-die-giftigen-altlasten-des-krieges/