Sind wir Grüne nicht links genug?

Von der einen Seite der Wähler hören wir immer wieder, wir seien Träumer, Naivlinge, Gutmenschen. Von der anderen Seite heißt es oft: Ihr seid nicht links genug. Wer so denkt, wählt vielleicht gar nicht oder verschenkt die Stimme bei der Wahl mit einem Kreuz bei einer „Unter-5-Prozent-Partei“ – und trägt damit keinesfalls dazu bei, unsere Gesellschaft „linker“ auszurichten. Doch was heißt eigentlich „links“? Ist das noch eine sinnvolle Kategorie?

Als linke Werte gelten zum Beispiel Gleichheit, Gerechtigkeit, Nähe, Spontaneität oder das Internationale. Und in Bezug auf unsere Wirtschaft staatliche Planung und öffentliche Kontrolle. Wobei staatliche Planung kein Element Grüner Politik ist. Und was sind rechte Werte? Zum Beispiel Betonung von Unterschieden, Autorität, Distanz, Disziplin, das Nationale. Und wirtschaftlicher Wettbewerb. Nach diesen Kriterien sind wir sicher links, und das mit ganzem Herzen.

Aber was ist mit „nicht links genug“ gemeint? Wohl etwa Argumente folgender Art:

  1. Ihr denkt nicht genug an die Geringverdiener.
  2. Ihr seid nicht radikal genug mit euren Vorschlägen zur Rettung des Klimas.
  3. Ihr seid zu wirtschaftsfreundlich.
  4. Ihr stellt euch nicht konsequent gegen Militäreinsätze im Ausland.
  5. Ihr setzt in den Länderparlamenten und Städten nicht genug grüne Politik um.

Punkt 1 ist klar widerlegt, zum Beispiel mit unserer Forderung nach 12 Euro Mindestlohn, unseren Vorschlägen zur Steuerpolitik, unseren Ideen im Bereich Bildung. Auch mit unserer Forderung, die Einnahmen aus der CO2-Steuer umzuverteilen, denn davon profitieren vor allem Geringverdiener.

Punkt 2 ist zu kurz gedacht. Forderungen müssen so weit gehen wie möglich, ohne am Ende wichtige Schritte zu blockieren. Das ist im kommenden Bundestag wichtiger denn je. In unserem Wahlprogramm liest man daher manchmal „In einem ersten Schritt wollen wir …“. Denn wer gleich zu viel fordert, wird scheitern. Wir bleiben hier aber nicht stehen, sondern werden um Mehrheiten kämpfen. Für das, was zur Eindämmung der Klimakrise, zu unserem Überleben, notwendig ist.

Punkt 3: Es geht darum, die Wirtschaft mitzunehmen. Das tun wir gerne. Und zwar alle, vom Kleinbetrieb bis zum Großunternehmen. Interessant ist, dass viele Unternehmen zum Beispiel auf dem Klimaweg schon viel weiter sind als CDU/CSU oder FDP. Und keine der anderen großen Parteien hat so klare Konzepte zur Zukunft der Landwirtschaft.

Punkt 4: Haltung zu Militäreinsätzen ist eine persönliche Gewissensentscheidung, die jede*r für sich auf die jeweilige Situation bezogen treffen muss. Die Grüne Bundestagsfraktion setzt vorrangig auf Maßnahmen der zivilen Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und -nachsorge. Wir nehmen vor allem die Ursachen von Krisen und deren langfristige Behebung in den Blick, statt nur kurzfristige Symptombekämpfung zu betreiben. Aber die Diktatur der Nazis, der Genozid an den Tutsi, die Verbrechen des Assad-Regimes gegen die eigene Bevölkerung, all dies hat militärisches Eingreifen erfordert, um hier nur ein paar Beispiele zu nennen. Die harte, vermeintlich linke Position der Linken („An einer Regierung, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, …, werden wir uns nicht beteiligen. Langfristig halten wir an der Vision einer Welt ohne Armeen fest.“), ist in Wahrheit polemisch, weltfremd und wird unserer internationalen Verantwortung nicht gerecht. Wie Grüne Bundestagsabgeordnete zu aktuellen Auslandseinsätzen abgestimmt haben, lest ihr hier.

Punkt 5: Wir würden gerne mehr umsetzen. Dazu brauchen wir Mehrheiten links von der Mitte und genügend Unterstützung aus der Bevölkerung. Wie schwierig das ist, sieht man etwa an den Themen Windenergie, Stromtrassen, Flächenversiegelung durch Einfamilienhäuser oder daran, dass bereits Currywurst in einer Betriebskantine eine unnötig ausufernde Diskussion in Gang setzt.

Fazit: Links argumentieren kann jeder. Aber nur wer für die eigene Politik Mehrheiten gewinnt, kann auch links handeln, Konzepte umsetzen, Gesetze und Vorschriften ändern, kurz: Grüne Politik machen!

Gerhard Seitfudem